Deutsche Ferienstraße – Teil II

4.9
(65)

Die Wiederentdeckung der deutschen „Route 66“

Von Mespelbrunn aus fahre ich auf der Deutschen Ferienstraße durch den Spessart, das größte zusammenhängende Laubmischwaldgebiet Deutschlands. Auf schmalen, einsamen Sträßchen fahre ich durch dichte Wälder, schaue von den Hügeln ins Land und genieße das Auf und Ab der Straße. Fast kann ich die Stille der Wälder hören. Und vielleicht in Gedanken die Märchen der Gebrüder Grimm wieder aufleben lassen, die hier ganz in der Nähe ihren Ursprung haben.

Spessart
Spessart
Spessart
Spessart

Eingebettet in die herrliche Landschaft des hessischen Spessarts liegt die Kurstadt Bad Orb. Ein wenig “aus der Mode gekommen” scheint der Ort zu sein. Wie so viele ehemals gut besuchte Kur- und Urlaubsorte, denen das entsprechende Klientel abhanden gekommen zu sein scheint.

Immerhin steht in der historischen Altstadt von Bad Orb das schmalste Fachwerkhaus weit und breit. Mit einer Breite von nur 1,58 Metern wurde es zum schmalsten Fachwerkhaus Hessens gekürt. Doch nur in einem kleinen Teil der Altstadt sind schöne alte Fachwerkhäuser zu bewundern. Leider gibt es auch Straßenzüge, die weit weniger romantisch sind.

Auf der alten Handels- und Salzstraße wurde früher das Orber Salz zum Verschiffen an den Main gebracht. Die Salzgewinnung machte die Stadt damals reich. Heute ist Bad Orb ein Kurort mit einem hübschen Kurpark.

Bad Orb
Bad Orb

Gelnhausen ist ein charmantes Städtchen mit schönen Fachwerkhäusern. Kein Geringerer als Kaiser Friedrich Barbarossa ließ sich hier eine prächtige Residenz errichten. Damit rückte er Gelnhausen ins Zentrum der europäischen Macht. Denn sein Reich umfasste mehr als Deutschland. Von hier aus sollten die Völker Europas geeint werden. Heute erinnern nur noch Ruinen an diese Zeit.

Gelnhausen
Gelnhausen

Die Altstadt von Büdingen am Rande des Vogelsberges zählt zu den schönsten mittelalterlichen Stadtanlagen Deutschlands. Wahrzeichen der Stadt ist das doppeltürmige Jerusalemer Tor. Es bildet den Zugang zur zwei Kilometer langen Stadtmauer mit ihren 22 Sandsteintürmen.

Trotz dieser Sehenswürdigkeiten ist der Ort mit seinen kleinen Gassen völlig verschlafen. Kein Straßencafé, keine Gaststätte, in der ich verweilen und die ganze Pracht auf mich wirken lassen könnte. Wie schade!

Büdingen
Büdingen
Büdingen
Büdingen
Büdingen
Büdingen
Büdingen
Büdingen

Durch eine der schönsten Gegenden Hessens fahre ich weiter nach Fulda im Herzen der Rhön. Neben der sehenswerten Altstadt ist es das “Barockviertel”, das Fulda besonders attraktiv macht. Höhepunkt ist der Dom, der die Silhouette der Stadt bestimmt.

Fulda
Fulda – Dom
Fulda
Fulda – Schloss

Es gibt Städte, in die man sich sofort verliebt. Eine davon ist für mich Alsfeld. Der erste Eindruck ist zwar etwas enttäuschend, aber das liegt nicht an der Stadt selbst, sondern an dem total überfüllten Wohnmobilstellplatz. Wahnsinn, was hier Mitte September los ist. Egal, ich suche mir einen Übernachtungsplatz in der Nähe und werde ein paar hundert Meter weiter auf dem Parkplatz des Schwimmbades fündig. Mitten im Grünen, einsam und ruhig. Solche Übernachtungsplätze suche ich mir immer öfter, denn der Trubel des Wohnmobilbooms geht mir gewaltig auf die Nerven!

Am nächsten Morgen mache ich mich früh auf, Alsfeld zu erkunden. Über 400 Fachwerkhäuser aus mehreren Jahrhunderten machen den Bummel durch die Altstadt zu einem spannenden Ausflug in die Geschichte. Alsfeld ist eine der bedeutendsten und sehenswertesten Fachwerkstädte Deutschlands.

In Alsfeld befand sich auch die Geschäftsstelle des Vereins “Deutsche Ferienstraße Alpen-Ostsee” – also meine Route 66! Als ich mich im Rathaus nach dem Verbleib des Vereins erkundigte, wusste man nicht einmal von der Existenz dieser Ferienstraße aus den 60er Jahren! Ich kann es kaum glauben!

Alsfeld
Alsfeld – Rathaus
Alsfeld
Alsfeld – Turm der Walpurgiskirche
Alsfeld
Alsfeld

Auch in Homberg an der Efze dominiert der schmucke Fachwerkbau. Hier wird deutlich, dass die Deutsche Ferienstraße Alpen-Ostsee in viele kleine Abschnitte unterteilt wurde. Und hier ist es die Deutsche Fachwerkstraße.

Homberg
Homberg
Bad Sooden - Allendorf
Bad Sooden – Allendorf
Bad Sooden - Allendorf
Bad Sooden – Allendorf

Durch kleine, enge Täler fahre ich, den Hohen Meißner im Blick, nach Bad Sooden im Werratal. Und im Stadtteil Allendorf das gleiche Bild: Fachwerk soweit das Auge reicht. Alles schön herausgeputzt und erhalten, ein wahres Schmuckkästchen der Fachwerkkunst. Eine Augenweide!

Auf dem Sickenberg erinnert das Grenzmuseum Schifflersgrund an die jüngste deutsche Geschichte, die Grenze zwischen Hessen und Thüringen. Es zeigt die ehemaligen Sperranlagen, die die Menschen in Ost und West trennen sollten, viele interessante Exponate und Zeitungsartikel.

Im abgelegenen Walkenried steht die sehenswerte Ruine eines 900 Jahre alten Zisterzienserklosters: Die Klosteranlage beeindruckt mit den Resten der einst 90 Meter langen gotischen Kirche. Hier befindet sich eines der größten Klostermuseen Europas, das über das Leben im Kloster und das Wirken der Mönche informiert. Und das alles eingebettet in eine herrliche Teichlandschaft (UNESCO-Welterbe „Oberharzer Wasserwirtschaft”).

Walkenried
Walkenried
Walkenried
Walkenried

Mit Blick auf den Brocken, den bekanntesten Berg des Harzes, fahre ich an Braunlage vorbei Richtung Norden. Es ist erschreckend, in welchem Zustand sich der Wald auch auf dem Brocken befindet. Nur noch abgestorbene Baumreste ragen in den Himmel, entweder vom Borkenkäfer zerfressen oder durch Windbruch beschädigt. Und Braunlage selbst lädt mich nicht einmal zu einem kurzen Zwischenstopp ein.

Die Blütezeit dieser Ferienorte liegt lange zurück. Heute bieten die Harzorte für mich nur noch drittklassigen Tourismus. Aber die Leute kommen in Scharen. Vermutlich Wanderer und Mountainbiker. Um sich den ganzen Urlaub lang tote Wälder anzuschauen?

Ein kleiner Lichtblick, zumindest architektonisch, ist Clausthal-Zellerfeld, das auf einer rauen Hochfläche liegt. Die holzverschalten Häuser sind einzigartig im Harz.

Harz
Harz bei Braunlage
Clausthal-Zellerfeld - Marktkirche
Clausthal-Zellerfeld – Marktkirche

“Es gibt kaum irgendwo grünere Tannen als hier” steht in meinem antiquarischen Reiseführer aus den 1960er Jahren. Auf dem Weg nach Goslar wünsche ich mir, dass es heute noch so wäre. Und ich bin froh, den Harz hinter mir zu lassen und in der tausendjährigen Kaiserstadt Goslar anzukommen. In einer schmucken Stadt mit imposanten Bauten aus verschiedenen Epochen, Kirchen und Fachwerkhäusern.

Bei einem Rundgang durch die Altstadt, die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört, kann ich die ganze Pracht bewundern und bestaunen. Das reine Fachwerk tritt allerdings etwas zurück, denn an einigen Häuserfassaden sind bereits Schieferverkleidungen angebracht.

Goslar
Goslar
Goslar
Goslar

Von Goslar nach Wolfenbüttel fahre ich eine lange Strecke der ehemaligen innerdeutschen Grenze entlang. Auf einigen Brachflächen kann ich den Grenzverlauf noch gut erkennen. Auf der Seite der Bundesrepublik gab es den Zonenrandbezirk, einen wirtschaftlich besonders geförderten Streifen entlang der Grenze zur DDR. Und auf der Seite der DDR war Sperrgebiet!

Wolfenbüttel war über drei Jahrhunderte Residenz der Welfenherzöge. Das ist für mich besonders interessant, weil in meiner Jugendstadt Weingarten bei Ravensburg Angehörige dieses Geschlechts in der sogenannten Welfengruft der barocken Basilika begraben sind. Ansonsten bietet diese schöne Stadt wieder einmal Fachwerk pur. Über 1000 sehr gut erhaltene und restaurierte Fachwerkhäuser könnte ich bei einem Bummel durch die Stadt bewundern. Leider sind die Gassen voll von FfF-Aktivisten, die einen Heidenlärm machen und so gar nicht in diesen romantischen Ort mit seinen stillen Winkeln und kleinen Gassen passen.

Wer einen Kräuterlikör als Digestif schätzt, kennt Wolfenbüttel als Produktionsort des “Jägermeisters”. Das Unternehmen wird heute in der fünften Generation als Familienbetrieb geführt.

Wolfenbüttel
Wolfenbüttel – Schloss
Wolfenbüttel
Wolfenbüttel
Wolfenbüttel
Wolfenbüttel

Keine halbe Autostunde von Wolfenbüttel entfernt erreiche ich die Domstadt Königslutter am Elm. Das wohl bekannteste Bauwerk und Wahrzeichen der Stadt ist die imposante Stiftskirche zu Königslutter, heute im Volksmund “Kaiserdom” genannt. Von Kaiser Lothar III. 1135 gestiftet, sollte der Kaiserdom als Klosterkirche des neu gegründeten Benediktinerklosters der kaiserlichen Familie als Grablege dienen. Erst nach dem Tod Kaiser Lothars wurde der Dom 1170 unter Heinrich dem Löwen vollendet. Er wurde auf dem höchsten Punkt der Stadt erbaut und ist bis heute eines der bedeutendsten Kulturdenkmäler der Romanik in Deutschland.

Von den mittelalterlichen Malereien im Kaiserdom sind nur noch wenige Reste erhalten. Sie wurden bei Restaurierungsarbeiten im 19. Jahrhundert entdeckt und bildeten die Grundlage für eine umfassende Neugestaltung des Innenraums. Ziel war es, den mittelalterlichen Zustand des Raumes wiederherzustellen. Alle Wände und Decken wurden mit prächtigen Malereien, biblischen Szenen oder schönen Mustern versehen.

Königslutter - Kaiserdom
Königslutter – Kaiserdom
Königslutter - Kaiserdom
Königslutter – Kaiserdom
Königslutter - Kaiserdom
Königslutter – Kaiserdom
Königslutter - Kaiserdom
Königslutter – Kaiserdom
Königslutter - Kaiserdom
Königslutter – Kaiserdom
Königslutter - Kaiserdom
Königslutter – Kaiserdom

Auf dem Weg nach Celle sehe ich Kühe auf grünen Wiesen grasen, hier geht das Leben noch seinen gemächlichen, beschaulichen Gang. Wer die Weite liebt, das Spiel von Licht und Schatten, das Auf und Ab der Hügel, der fühlt sich hier zu Hause.

Die Celler Altstadt ist das größte Fachwerkensemble Europas. Ein Ensemble vollständig erhaltener Straßen und Gassen.

Das älteste Gebäude der Stadt ist das Celler Schloss. Im Laufe der Zeit wurde die ursprünglich einfache Burg zu einer aufwendigen Anlage um- und ausgebaut.

Celle
Celle
Celle
Celle
Celle
Celle – Eines der aufwendigsten Fachwerkgebäude der Stadt, erbaute der herzogliche Rentmeister Simon Hoppener.
Celle
Celle

In der gesamten Altstadt von Celle stehen derzeit Betonfiguren, die den ganz normalen Alltag der Stadt widerspiegeln sollen. Die dazugehörige Freiluftausstellung heißt deshalb auch „Alltagsmenschen“. In 16 Installationen sind 40 Figuren der Künstlerin Christel Lechner in der Altstadt aufgestellt. Ich bin begeistert!

Celle
Celle – Schloss
Celle
Celle

Ich bin in der norddeutschen Tiefebene angekommen. Charakteristisch ist die Weite des Horizonts, nirgendwo ist der Himmel so weit wie hier. Wahrzeichen dieser Gegend sind die massiven rotbraunen Backsteinbauten und die Dörfer mit den alten Eichen auf dem Dorfplatz.

Der Reichtum der Hansestadt Lüneburg beruht auf dem Salzhandel. Ein großer Teil der Stadt ist von einem Salzstock unterhöhlt, der das Monopol als Salzlieferant der Hanse begründete. Lüneburg war ein frühes und sehr reiches Mitglied der Hanse. Dieser Reichtum spiegelt sich vor allem in den Gebäuden der Stadt wider. Von den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges verschont, präsentieren sich dem Besucher historische Plätze, Backsteinkirchen und Patrizierhäuser mit ihren prächtigen Giebeln.

Lüneburg
Lüneburg
Lüneburg
Lüneburg
Lüneburg
Lüneburg
Lüneburg
Lüneburg
Lüneburg
Lüneburg – Zentralgebäude der Leuphana (Universität)

Die Alte Salzstraße von Lüneburg nach Lübeck verband die beiden Hansestädte. Sie diente dem Transport des Lüneburger Salzes, eines der begehrtesten Handelsgüter des Mittelalters.

Über Mölln (die Stadt Till Eulenspiegels) und Ratzeburg, vorbei an vielen kleinen Seen und Teichen, erreiche ich Lübeck.

Lübeck ist die Königin der Hanse, ein Paradies für Marzipanliebhaber und das Tor zum Norden. In den engen Gassen der Altstadt mit ihren prächtigen Kaufmannshäusern, den kleinen Gassen, Gängen und Höfen lässt es sich herrlich bummeln. Schon von der Autobahn aus sehe ich die sieben Türme der Stadt. Insgesamt fünf Gotteshäuser stehen auf der Altstadtinsel und geben der Hansestadt ihre unverwechselbare Silhouette.

Mein Stadtbummel dauert den ganzen Tag. Da die Altstadt nur etwa drei Quadratkilometer groß ist, kann ich alles bequem zu Fuß erledigen. Als die Stadt gegründet wurde, hat noch niemand an Autos gedacht. Parkplätze in den engen Gassen sind rar und sowieso nur für Anwohner. Dafür gibt es am Stadtrand große Parkplätze, auch für Wohnmobile. Die versteckten Ecken der Stadt entdecke ich sowieso am besten zu Fuß und schlängele mich durch die engen Gassen, die hinter den Kaufmannshäusern verlaufen. Herrlich!

Und natürlich gehe ich auf einen Kaffee ins „Niederegger“, das Stadtcafé der gleichnamigen Marzipanmanufaktur. Das Kuchenbuffet ist überwältigend und alles schmeckt wunderbar. Und selbstverständlich fülle ich auch meinen “kleinen, bescheidenen Vorrat” an Marzipan auf.

Wer im Dezember nach Lübeck kommt, kann einen der schönsten Weihnachtsmärkte Deutschlands erleben. Die Atmosphäre auf den Plätzen der Altstadt ist unvergleichlich.

Lübeck
Lübeck
Lübeck – Holstentor
Lübeck – Holstentor
Lübeck - Holstentor
Lübeck – Holstentor
Lübeck
Lübeck
Lübeck – St. Jakobi
Lübeck – St. Marien
Lübeck – St. Marien

Von Großenbrode aus führt die Fehmarnbrücke über den Fehmarn-Sund auf die Insel. Sie ist das Verbindungsstück der “Vogelfluglinie”, die diagonal über den europäischen Kontinent von Oslo nach Lissabon verläuft.

Brücke nach Fehmarn
Brücke nach Fehmarn

Puttgarden besteht im Wesentlichen aus dem Fährhafen und ein paar Häusern, eher Bauernhöfen. Leben kommt in den Ort, wenn eine der Fähren aus dem gegenüberliegenden dänischen Rødbyhavn anlegen. Und hier endet die deutsche Ferienstraße – die “German Route 66”.

Ortssschild Puttgarden

Wie Perlen auf einer unsichtbaren Schnur reihen sich die Städte und Städtchen von Königsee bis Puttgarden aneinander, unterbrochen von herrlichen Landschaften. Und immer wieder wird mir bewusst, dass hier durch viele Jahrhunderte hindurch unsere Kultur entstanden ist. Und ich durfte die Schönheit besonders reizvoller Landschaften zwischen Alpen und Ostsee bereisen und das manchmal etwas versteckte Deutschland kennen lernen. Es hat sich gelohnt!

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