Languedoc und Provence – Teil II
Heute Nacht stürmt es kräftig. Kleine Bäumchen biegen sich so stark – es gleicht fast einem Wunder, dass sie nicht abbrechen. Als die Sonne aufgeht, legt sich der Sturm. Nur ein laues Lüftchen weht noch. Blauer Himmel, ein herrlicher Morgen!
Wir möchten uns heute Béziers ansehen. Es sind nur ein paar Kilometer bis in die Stadt, wie immer herrscht hier Verkehrschaos. Dazu blockieren mehrere Feuerwehrfahrzeuge eine der Hauptverkehrsstraßen. Irgendetwas Schlimmes muss da passiert sein. Die Gendarmerie regelt den Verkehr, aber das macht die Situation auch nicht besser. Es ist für uns vollkommen aussichtslos, einen Parkplatz zu ergattern, obwohl wir extra um die vermeintlich ruhigere Mittagszeit gekommen sind. Also nutzen wir die uns als Wohnmobilreisende mögliche Spontanität und beschließen kurzerhand nach Sérignan zu fahren.
Sérignan ist ein kleines ruhiges Dorf nicht weit von Béziers entfernt. Wir essen dort in einem kleinen, sehr rustikalen Bistro eine hervorragende „Plat du Jour“ und sehen beim örtlichen Boule-Turnier zu. Es ist erstaunlich, wie viele Leute an einem ganz normalen Werktag daran teilnehmen können!
Wir übernachten auf dem Parkplatz an der großen Brücke direkt am Ufer des Orb. Ein Verkehrsschild versperrt Wohnmobilen die Einfahrt, aber wir sind erstens außerhalb der Saison, der Parkplatz ist zweitens halb leer und drittens sind wir in Frankreich! Und da geht das schon mal. Die Gendarmerie kurvt ein paar Mal in ihrem Dacia Duster um den auserkorenen Schlafplatz herum, aber sie scheinen sich nicht an uns zu stören.



Ein energisches Klopfen an der Wohnmobiltür weckt uns am Morgen auf. Die Gendarmerie! Sie sind nun doch der Meinung, dass wir hier nicht stehen dürfen. Wo wir parken können, um mit dem Bus nach Béziers zu fahren, wissen sie allerdings auch nicht. Vielleicht am Supermarkt. Und tatsächlich: Da stehen einige Wohnmobile, die hier offensichtlich übernachtet haben. Die Bushaltestelle ist auch direkt vor der Tür. Passt!
Mit dem Bus (Fahrpreis 1 Euro pro Person) lassen wir uns in die quirlige Stadt befördern. Eine knappe dreiviertel Stunde dauert die Fahrt. So geht Nahverkehr!
Béziers ist die älteste Stadt Frankreichs, ja sogar eine der ältesten Städte Europas. Vor 6.500 Jahre gründeten die Griechen diesen Ort, lange bevor die Römer hier Fuß fassten. Eine gepflasterte Straße führt von der alten, steinernen Brücke noch immer bis zur römischen Arena.
Wer heute nach Béziers kommt, wird von einer mittelgroßen, freundlichen, mediterranen Umgebung empfangen. Über dem Fluss Orb erhebt sich stolz die festungsartige Kathedrale St-Nazaire. Niemals würde man beim Bummel durch die Altstadt auf den Gedanken kommen, dass sich hier das blutigste Gemetzel des ganzen Albigenser-Kreuzzugs abgespielt hat. Als das Kreuzfahrerheer 1209 wieder abzog, ließ es in der völlig zerstörten Stadt 20.000 Tote zurück – neben Katharern auch viele Katholiken. An der Kirche Ste-Madeleine erinnert eine Tafel an ein Massaker, bei dem 5.000 Menschen auf einmal ums Leben kamen.
In der Nähe von Béziers beginnt der Canal du Midi. Pierre-Paul Riquet, ein Sohn der Stadt, erschuf dieses beeindruckende Bauwerk. Er hatte den Einfall, das Wasser aus den Montagne Noir dem Kanal zuzuleiten und so die Garonne, also den Atlantik, dauerhaft mit dem Mittelmeer zu verbinden. Der Handel auf dem Kanal und der Weinanbau führten zum großen Wohlstand Béziers.
Wir verbringen den ganzen Tag in dieser wunderbaren Stadt. Bei spätsommerlichen Temperaturen und strahlendem Sonnenschein bummeln wir über die Plätze und streifen durch die Gassen. Und natürlich lassen wir uns auch kulinarisch verwöhnen!








Heute Morgen dürfen wir ausschlafen. Kein Gendarme hat etwas gegen unseren Übernachtungsplatz einzuwenden. Schön war es direkt neben dem Carrefour zwar nicht, aber für eine Nacht geht das schon mal. Immerhin ist es praktisch, dass der Supermarkt um die Ecke ist und wir unsere Einkäufe erledigen können.
Auf dem Weg nach Aigues-Mortes in die Camargue machen wir einen spontanen Stopp in Montpellier. Unser Geheimtipp für einen Parkplatz weist sich zwar als Reinfall heraus, aber um die Mittagszeit gibt es trotzdem zentrale Parkplätze. Wir kommen also genau passend, um ein kleines Mittagessen zu verspeisen, bevor wir mit dem Touristenzügle „Petite Train“ eine Stadtrundfahrt machen. Wir schätzen diese Bähnchen inzwischen sehr, denn alle wichtigen Sehenswürdigkeiten einer Stadt werden angefahren und meistens gibt es einen sehr informativen Kommentar. Und man sieht nur, was man weiß!
In der größten Fußgängerzone von Europa kann man wunderbar umherschlendern und den quirligen Betrieb genießen. Es ist herrliches Wetter, denn Montpellier hat schließlich auch 300 Sonnentage im Jahr.



Der Übernachtungsplatz etwas außerhalb von Aigues-Mortes gefällt uns gar nicht. Also versuchen wir unser Glück auf dem zentrumsnahen Platz, der aber in der Regel gut besucht und zudem recht teuer ist. Zu unserem Glück finden wir die Schranke bei unserem Eintreffen außer Betrieb und ein schönes Plätzchen ist schnell gefunden. In den Straßen von Aigues-Mortes sind viele Absperrungen aufgebaut, denn der Ort feiert schon die ganze Woche lang ein Stadtfest. Heute Abend ist für die Jugend Technoparty angesagt. Unsere bevorzugte Musik ist das zwar nicht, aber es ist schön, nachts durch den Ort zu streifen.

Zum Frühstücken suchen wir uns ein nettes Bistro. Vorher kaufen wir beim Bäcker noch frische Croissants, denn in Frankreich ist es ja erlaubt, sein mitgebrachtes Gebäck zu verspeisen. Und meisten haben die Bistros keine Croissants (mehr), bis wir angebummelt kommen. Anschließend besichtigen wir das kleine Städtchen, welches komplett von einer intakten Wehrmauer umgeben ist.
Aigues-Mortes wurde im 13. Jahrhundert gegründet, um den Handel mit Italien und dem Orient aufblühen zu lassen. Die Stadt verfügte über den ersten Mittelmeerhafen des Königreichs Frankreich. Der Ort hat mit seinem 1.634 Meter langen Festungswall, den befestigten Toren, den zwanzig Türmen und dem Rundgang einen wahrlich mittelalterlichen Festungscharakter. Der höchste Turm von Aigues-Mortes ist der Turm Constance, ein ehemaliges Gefängnis mit einer Höhe von 30 Metern. Von dessen hoch gelegener Terrasse aus bietet sich ein wunderbarer Blick auf die Weiten der Camargue.



Nach einem vorzüglichen Frühstück ist es schon bald 11 Uhr – Zeit für einen Höhepunkt des Stadtfestes: Schwarze Stiere der Camargue werden von Reitern durch den Ort getrieben. Dafür sind an bestimmten Straßen massive, mannshohe Absperrgitter angebracht, hinter denen die Zuschauer vor der vorbeijagenden Meute sicher sind. Wir treffen pünktlich an der Strecke ein und warten auf das Spektakel. Gegen viertel nach elf erschallen Durchsagen in mehreren Sprachen, wie gefährlich die Stierjagd sei und dass sich kein Zuschauer innerhalb der Absperrungen aufhalten dürfe. Um halb zwölf erfolgen diese Durchsagen erneut. Und um viertel vor zwölf noch einmal. Kurz vor zwölf kommen dann die Reiter mit den Stieren im Schlepptau bei uns vorbei. Das Ganze dauert etwa 3 Sekunden. Bei fast einer Stunde Wartezeit! Aber trotzdem … sehr beeindruckend.

Wir beenden unsere kurze Stippvisite in der Camargue und fahren – vorbei an Avignon – ein gutes Stück bis in die Provence nach L’Isle-sur-la-Sorgue. Der Ort trägt das Prädikat „Venedig der Provence“! Unsere Erwartungen sind also hoch, als wir uns zum Stadtbummel aufmachen. Leider entspricht das Stadtbild so gar nicht unseren Vorstellungen. Gut, es gibt einen Kanal, welcher rund um den Ort verläuft. Dieser zieht sich aber größtenteils direkt an der stark befahrenen Straße entlang und die kleinen Kanälchen durch das Zentrum entsprechen nicht im Entferntesten dem Original. Schade!
Der ausgewiesene Übernachtungsplatz am Bahnhof ist von PKW’s zugeparkt. Alles ist sehr eng und nachts donnern die Güterzüge vorbei. Unser Gesamteindruck von L’Isle-sur-la-Sorgue fällt leider nicht so positiv aus wie erwartet.


In Ménerbes wollen wir das Wochenende verbringen. Wir kennen den Ort von früheren Reisen und wissen deshalb, dass wir dort auf einen schönen Übernachtungsplatz und kulinarische Köstlichkeiten zählen können. Von L’Isle-sur-la-Sorgue bis nach Ménerbes ist es nicht weit. In einem kleinen, familiären Bistro lassen wir uns dort mittags verwöhnen. Eine deftige und sehr leckere „Plat du Jour“ wartet auf uns.
Ménerbes ist das Prädikat „Les Plus Beaux Villages de France“ eigen. Der Ort (500 Meter lang und 50 Meter breit) liegt langgestreckt auf einem Bergrücken und ist weithin sichtbar. An klaren Tagen muss die Aussicht von hier oben atemberaubend sein.
In den 1990er Jahren wurde Ménerbes durch den englischen Schriftsteller Peter Mayle bekannt, der in seinem Roman („Mein Jahr in der Provence“) den Ort und das Leben in der Provence so liebevoll-authentisch beschrieb, dass sich viele Touristen deshalb noch heute auf Spurensuche begeben. Wir laden uns das Buch als eBook herunter und verbringen das Wochenende mit Lesen und bummeln immer und immer wieder durch den Ort.






Von Ménerbes nach Sénanque sind es nur ein paar Kilometer. Das schmale Sträßchen führt über Gordes einen steilen Abhang hinab in ein kleines, malerisches Tal, in welchem eine wunderschöne Abtei steht. Einspurig geht es steil nach unten. Nur an vereinzelten Ausweichstellen könnte der Gegenverkehr passieren. Erst als wir unten ankommen, bemerken wir, dass diese Straße für Wohnmobile gesperrt ist. Egal … so früh am Morgen ist uns kein einziges Fahrzeug entgegengekommen.
Die Abtei Notre-Dame von Sénanque steht inmitten von Lavendelfeldern, die Mitte Oktober allerdings nicht mehr blühen. Schade! Aber in jedem Führer über die Provence ist ein Bild dieser Abtei inmitten der Blüten zu finden. Die Zisterziensermönche gründeten diesen Ort der Stille bereits im Jahre 1148. Seitdem wechselte das Schicksal dieser Abtei immer wieder – vom reichen Kloster bis zur verlassenen Einöde. Seit einigen Jahren leben wieder Mönche in der Abtei, die durch ihre schlichte Einfachheit besticht. Mittlerweile hat sie sich zu einem Wahrzeichen der Provence entwickelt.


Das berühmte provenzalische Städtchen Gordes liegt angeblich fußläufig (30 Minuten) in der Nähe des Klosters. Gordes ist ebenfalls das Prädikat „Les Plus Beaux Villages de France“ zugeschrieben. Der Ort liegt an der Südflanke der Hügelkette „Monts de Vaucluse“ auf einem Felsvorsprung und thront über dem Tal des Flusses Coulon gegenüber dem Luberon-Gebirge. Sein Schloss, seine gepflasterten Gassen und seine hübschen Plätze laden zum Flanieren ein. Reizvoll sind auch die engen Gassen mit ihren hohen, schmalen Häusern.



Wir wollen den Nachmittag noch ausnutzen, um uns das Dörfchen Roussillon en Provence anzuschauen. Bekannt ist der Ort vor allem durch seine ockerhaltige, rote Erde, die als Rohstoff zur Herstellung von Farben verwendet wird. Hier bauten bereits die Römer, die das Dorf vicus russulus (rotes Dorf) nannten, Ocker ab. Bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts blieb Rousillon Zentrum des Ockerabbaus. 1930 wurde dieser eingestellt. Heute existiert nur noch eine Farbenfabrik zur Besichtigung (Ancienne Usine Mathieu). Ferner liegt am Ortsrand der Sentier des Ocres, der Ockerlehrpfad.
Zwischen 1942 und 1945 versteckte sich Samuel Beckett vor der deutschen Wehrmacht in Roussillon und setzte der Stadt in seinem Theaterstück „Warten auf Godot“ ein Denkmal.
Der Bummel durch den charmanten Ort ist kurzweilig und sehr interessant. Beim Besuch der Ockerbrüche ist es sehr empfehlenswert, nicht die allerbesten Schuhe anzuziehen. Auch bei trockenem Wetter wird man schnell ockerfarben eingestaubt.






Ein kräftiges Unwetter zieht heute Nacht über Roussillon hinweg. Der nationale Wetterdienst hatte diese Unwetterfront angekündigt. Wir haben unseren Übernachtungsplatz deshalb so gewählt, dass wir unter keinem Baum parken, damit uns keine Äste auf das Wohnmobildach fallen. Außerdem kann es sehr unangenehm sein, bei Niederschlag unter Bäumen zu stehen, weil der Regen so unregelmäßig aufs Dach prasselt.
Wir lassen uns heute morgen viel Zeit, denn es regnet noch immer. Wir möchten den Schlechtwettertag nutzen, um eine längere Fahrstrecke zurückzulegen. Unser Ziel ist Moustiers-Sainte-Marie. Unterwegs machen wir in Manosque Mittagspause, gehen eine leckere Pizza essen und tauschen beim Supermarkt an der Tankstelle die leere, französische Gasflasche gegen eine volle aus. Das ist immer recht mühsam, weil die französischen Flaschen etwas größer und vor allem aus Stahl sind. Also Sack schwer!
Als wir am Nachmittag in Moustiers-Sainte-Marie ankommen, hat der Regen aufgehört. Die Sonne scheint durch ein paar Wolkenlücken hindurch und ein wunderbares Licht liegt über dem Ort.
Der Fußweg vom Übernachtungsplatz geht steil nach oben in das Städtchen. Die verwinkelten Gassen und kleinen Plätze des typisch provenzalischen Ortes laden zum Bummeln ein. Erfrischende Brunnen, Ateliers sowie Boutiquen für Steingut und die Häuser mit ihren adretten Fassaden versprühen südfranzösischen Charme. Das Dorf wird majestätisch überragt von dem imposanten Glockenturm der Kirche Notre-Dame-de-l’Assomption.
Wer sich für Keramik interessiert, sollte unbedingt das Fayence-Museum besichtigen, das eine bemerkenswerte Sammlung aus feinem Steingut zeigt – vom Ende des 17. Jahrhunderts bis heute. Die Ausstellungsstücke stammen von den großen Meistern der Fayence aus Moustiers.
Oberhalb des Dorfes steht, umgeben von hohen Kalkfelsen, die Kapelle Notre-Dame-de-Beauvoir. Dieses romanisch-gotische Gebäude ist nur durch einen 20-minütigen Fußmarsch auf dem Kreuzweg zu erreichen, der über eine Steintreppe mit 262 Stufen führt. An der Kapelle angekommen bietet sich ein sehr schöner Blick auf die Dächer des Dorfes, das Tal der Maire und das eindrucksvolle Plateau von Valensole.





