Route Nationale 20 – Von Paris nach Andorra
Wie alle französischen Nationalstraßen beginnt auch die Route Nationale 20 in Paris. Mitten in Paris. Direkt vor der Kathedrale Notre Dame ist der “Nullpunkt”.
Zertrampelt von den Touristen liegt ein kleines Stück französischer Geschichte verborgen – der “Point Zéro des Routes de France”. Kaum einen Meter breit, ist der Pariser Nullpunkt leicht zu übersehen. Und alle Straßen in Frankreich, Straßenschilder, Entfernungen, Landkarten werden von genau diesem Punkt aus berechnet.
Hier beginnt die legendäre Nationalstraße 20, die zwar nicht so bekannt ist wie die Nationalstraße 7, aber ebenso viel Charme und Nostalgie ausstrahlt. Sie führt durch die Ebene der Beauce, die Wälder der Sologne und die Hügel des Berry und des Limousin bis zu den Bergen der Pyrenäen und schließlich nach Andorra.
Die Blütezeit der RN20 begann mit der Entwicklung des Automobils und der Einführung des bezahlten Urlaubs in Frankreich. Bis 1996 verband ein 864 Kilometer langes, durchgehend asphaltiertes Band Paris mit der französisch-spanischen Grenze. Leider ist von der originalen Streckenführung nur noch sehr wenig erhalten. Bis kurz hinter Paris trägt sie noch die Bezeichnung N20, dann wurde sie in D2020 und D920 und weiter südlich in D820 umbenannt. Erst kurz vor Spanien trägt sie wieder ihren ursprünglichen Namen: Route Nationale 20! Höchste Zeit also, dieser Ferienstraße in den Süden zu folgen. Denn seit Jahrzehnten ist die Route Nationale 20 ein Begriff für Urlaub und Ferien. Für Fernfahrer, Pendler oder Außendienstmitarbeiter eine Straße zur Erfüllung der beruflichen Pflichten. Für die Urlauber der Weg nach Spanien oder an den westlichen Teil des Mittelmeers.
Noch heute sind viele Zeugnisse dieser goldenen Zeit für jedermann sichtbar: nostalgische Architektur, alte verlassene Läden, verwitterte Straßenschilder, aufgemalte „Werbung“ für Marken, die es heute nicht mehr gibt, oder die für Südfrankreich typischen Platanenreihen an den Straßenrändern.
Auch ein Teil der Geschichte Frankreichs hat sich auf dieser Straße abgespielt. Der Exodus während der Besatzungszeit, dann die Befreiung der Hauptstadt.
Ich beginne meine Reise in Paris. Das immer schöne, interessante, laute und verrückte Paris. Ich habe einige Tage in dieser fantastischen und anstrengenden Metropole verbracht. Ich habe auf dem Campingplatz „Camping International de Maisons Laffitte Paris“ übernachtet. Der Platz liegt nördlich von Paris und ist über die Autobahn schnell und einfach zu erreichen. Nach einem kurzen Fußweg zum Bahnhof ist man mit der RER in gut 25 Minuten im Stadtzentrum.
Gut gelaunt verlasse ich Paris auf der Avenue de la Porte Orléans in Richtung Süden. Es geht los! Ich freue mich auf meine Reise. Richtung Pyrenäen.
Der Verkehr ist auch an einem Sonntagnachmittag dicht, der erste Stau lässt nicht lange auf sich warten. Authentischer kann diese Reise nicht beginnen. In den 60er und 70er Jahren war die Fahrt in den Süden immer mit Staus, Wartezeiten und leider auch vielen, vielen Unfällen verbunden.
Bald durchquere ich Montrouge, schnell bin ich in Arcueil, dann in Bourg-la-Reine (vorbei am Trainingszentrum des französischen Rugbyverbandes), schon komme ich nach Linas (wichtige Rennstrecke), dann nach Marcoussis. Und dann verlasse ich den Großraum Paris. Ich bin froh, dieses Verkehrsgetümmel hinter mir zu haben. Dicht an dicht fahren die Autos in 2er Kolonnen und immer wieder rasen Motorräder in einem “Affenzahn” zwischen den Fahrzeugen nach vorne. Lebensmüde! Das macht mir Angst.
Ich erreiche Arpajon, die Garten- und Gemüsestadt von Paris. In der Nacht wird die Ware in die Hauptstadt gebracht. Die Fahrt auf der Route Nationale 20 war damals anstrengend und lang. Deshalb schlug der Ingenieur Henri Vieillard 1881 den Bau einer Eisenbahn vor, die hauptsächlich entlang der RN20 zwischen Arpajon und Paris verlaufen sollte. So wurden von Mitternacht bis vier Uhr morgens Lebensmittel von den Gärtnereien von Arpajon nach Paris transportiert.
Die Landschaft ändert sich radikal von der massiven Bebauung der Großstadt zu den weiten Ebenen der Beauce. Paris mit seiner Hektik und seinen Abgasen ist nur noch eine ferne Erinnerung.
Gestern bin ich bei meinen täglichen Internetrecherchen zufällig auf ein Buch über die RN20 gestoßen. Im Internet gibt es nur sehr wenige Informationen zu dieser Reiseroute. Und so bin ich glücklich, dieses Buch von Andre Reix zu entdecken. Je mehr Details ich über diese Route kenne, desto intensiver kann ich die Reise genießen. Denn: Man sieht nur, was man weiß!
Aber wie bekomme ich das Buch? Schließlich habe ich keinen Briefkasten am Wohnmobil. Vorsichtshalber melde ich mich schon mal beim Paketdienst Mondial Relay an. Kann ja nicht schaden. Dann rufe ich in der nächsten Buchhandlung an, ob die mir das Buch bestellen können. Geht nicht, weil im Kleinverlag erschienen. Bei der nächsten Buchhandlung geht es, Lieferzeit 1 Woche. Da bin ich aber längst wieder weitergefahren.
Dann maile ich direkt an den Verlag. Schildere ihnen meine Situation. Ich bin auf Reisen, fahre genau diese Strecke, habe keine Postadresse, ein Hinweis auf meine Website kann auch nicht schaden. Und der Verlag reagiert prompt und leitet meine Mail an den Autor, Herrn Reix, weiter. Keine Stunde später meldet er sich und wir überlegen, wohin er das Buch schicken könnte. Aber leider passt nichts in meine Reisepläne oder es dauert zu lange. Und dann regeln wir das Ganze unbürokratisch: Ich bezahle den Kaufpreis per PayPal, erhalte dafür eine PDF-Datei des Buches (verbunden mit meinem Versprechen, diese niemals weiterzugeben) und 10 Minuten später kann ich anfangen zu lesen! Und … Herr Reix schickt mir auch noch ein Exemplar des Buches an seine Heimatadresse in Limoges. Das liegt auf meinem Weg und ich kann das Buch bei seinen Eltern abholen. Perfekt. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an Herrn Reix. “Monsieur, vous êtes génial!”
Ich bin auf dem Weg nach Orléans. Die Straße schlängelt sich über Hügel und durch Täler. Unterwegs komme ich an der bekannten Fernfahrerraststätte “Relais 20” vorbei. Seit Jahrzehnten eine Institution unter den Truckern. Für wenig Geld bekommt man hier ein komplettes Menü mit Vorspeisenbuffet, Hauptgericht, Dessert, einem Glas Wein, einem Espresso und einem halben Baguette.
In der Nähe von Orléans, an der N20, gab es eine Autowerkstatt, die sieben Tage die Woche geöffnet hatte. Dort arbeitete Edgar Lhullier. Am Mikrofon von France 2 erinnert er sich: „Es gab viele, viele Unfälle, Zusammenstöße“. Er kennt die N20 noch aus den 1970er Jahren, als 2000 Fahrzeuge pro Stunde durch die Ortschaften fuhren.
Mit Orléans erreiche ich die erste “Großstadt” auf meiner Route. Die Stadt lässt sich gut zu Fuß erkunden, alle Sehenswürdigkeiten liegen dicht beieinander. Dominiert wird das Stadtbild von der Kathedrale Sainte-Croix. Über 200 Jahre wurde an der Bischofskirche gebaut. 1829 wurde sie eingeweiht.
Das gotisches Meisterwerk flößt mir Ehrfurcht ein. Sowohl vom Stil als auch hinsichtlich ihrer Größe ähnelt die Kirche der Kathedrale Notre-Dame in Paris. Die Kirchenfenster erzählen die Geschichte von Johanna von Orléans, die hier die Abendmesse besuchte, bevor sie gegen die englischen Angreifer vor der Stadt kämpfte.
In der Mitte des Platzes Martroi steht das Reiterstandbild der Jungfrau von Orléans. Der riesige Platz hatte früher einen Kreisverkehr und die N20 durchquerte genau hier die Stadt.
Je weiter ich mich von Orléans entferne, desto grüner und abwechslungsreicher wird die eintönige Landschaft. Sanfte Hügel wechseln sich mit abwechslungsreichen Landschaften ab. Die Straße schlängelt sich kurvenreich durch die Gegend. Französische Chansons vom USB-Stick heben meine Stimmung.
Immer wieder tauchen Hinweisschilder auf, die zur Loire und zu den berühmten Loire-Schlössern führen: Valençay, Chambord, Beaugency … Bekannte Namen mit wunderschönen Schlössern, Gärten und Landschaften.
In Lamotte-Beuvron macht mich ein Schild darauf aufmerksam, dass in diesem Ort die berühmte “Tarte Tatin” erfunden wurde. Die Tarte Tatin ist ein Apfelkuchen, der mit Zucker und Butter karamellisiert wird. Der Teig wird jedoch vor dem Backen auf die Füllung gelegt. Der Kuchen wird also “auf den Kopf gestellt”. Nach dem Backen wird sie auf einen Teller gestürzt und warm serviert.
Ich habe gerade zu Mittag gegessen, aber so ein Stück Kuchen würde mich schon reizen… und es schmeckt wunderbar!
Die Straße nach Vierzon führt durch eine grüne Landschaft und taucht in einen dichten und urwüchsigen Wald ein, in dem ein bemerkenswerter Bestand an alten Bäumen steht. Am Waldrand entlang der Straße sind Wege angelegt, auf denen abends Lieferwagen parken, deren Insassinnen sich um zahlungswillige Kunden bemühen. Da ich aber am helllichten Tag vorbeikomme, bleibe ich verschont.
Das Städtchen Vierzon ist leider etwas trist. Das macht mich melancholisch. Man sieht dem Ort an, dass er seine besten Zeiten wohl hinter sich hat. Viele Geschäfte sind geschlossen und scheinen auch nicht mehr zu öffnen. Dieses Phänomen ist leider immer häufiger zu beobachten. Aber manchmal muss man sich auch nicht wundern. Der 3. Dönerladen im Dorf, das 2. Nagelstudio oder noch ein Hundefriseur … da kann man das Scheitern schon voraussehen. Das geht mir immer sehr aufs Gemüt, denn hinter jeder Neueröffnung steckt viel Enthusiasmus und Engagement. Und am Ende bleiben nur viele Schulden.
Gleichwohl sang Jacques Brel im Jahr 1968 in seinem schönen Chanson “Vesoul”: „Du wolltest Vierzon sehen, und wir sahen Vierzon. Du mochtest Vierzon nicht mehr, und wir verließen Vierzon“.
Die Umgebung des Städtchens Vierzon ist landschaftlich sehr reizvoll. Umgeben von den Flüssen Cher und Yèvre liegt der Ort zwischen der Sologne, der Champagne und dem Cher-Tal.
Das Städtchen La Ferté-Saint-Aubin gefällt mir auf Anhieb. Die Straße führt über eine mittelalterliche Brücke, unter der ein kleiner Bach plätschert, rechts geht es zu einem kleinen Parkplatz unter alten Bäumen. Hier bleibe ich vorerst! Vorbei am hübschen Schlösschen des Ortes marschiere ich ins Zentrum. Viel ist hier nicht geboten, aber ein Bäcker, eine Brasserie und ein Restaurant sollten für den Moment reichen. Im Restaurant reserviere ich mir einen Platz zum Mittagessen. “À tout à l’heure.” In der Zwischenzeit trinke ich einen Kaffee in der Brasserie. Der Kellner ist schwerhörig, aber sehr nett. Und irgendwann weiß er auch, was ich bestellen möchte. Neben mir sitzen Madame und Monsieur bei einer Tasse Espresso. Als sie gehen wollen, kommt eine Bekannte von Madame vorbei. Monsieur geht schon mal nach Hause, weil es wohl länger dauern wird! Und tatsächlich: Als ich nach dem Mittagessen wieder vorbeikomme, sitzen die beiden immer noch da. Bei einem Fläschchen Rosé Wein! Ob Monsieur sie irgendwann abholt, weiß ich nicht!
Die N20 verläuft als D920 in südlicher Richtung parallel zur Autobahn A20. Die alte Nationalstraße schlängelt sich um die Autobahn herum, über oder unter der neuen Straße hindurch. Es macht Spaß hier zu fahren. Wenig Verkehr, schöne enge Sträßchen mit Achterbahnkurven.
Und man merkt, dass die Nationalstraße 20 einmal viel befahren war. Aber viele Tankstellen, Restaurants, Autowerkstätten oder Hotels sind geschlossen. So wie die Fassaden aussehen, wahrscheinlich für immer. Für die Besitzer war der Bau der A20 eine Katastrophe.
Ich fahre durch eine fade, langweilige Gegend. Kilometerlange, schnurgerade Straßen. Durch die Hitze verbrannte Wiesen und abgeerntete Getreidefelder, in der Ferne den Horizont, und alles ist absolut flach. Und so komme ich nach einer langweiligen Fahrt in Vatan an. Nicht einmal die französischen Chansons auf meinem USB-Stick können mich aufheitern.
In Vantan gibt es einen sehr schönen Stellplatz mit Stromanschluss. Es ist brütend heiß, gute 38 Grad vor und im Wohnmobil. Da will ich meine neu eingebaute Klimaanlage nutzen. Es ist zwar etwas gewöhnungsbedürftig, bei geschlossenen Fenstern und Türen im Wohnmobil zu sitzen, aber dafür ist es herrlich kühl. Die Anschaffung hat sich wirklich gelohnt.
Um die Mittagszeit schaue ich mich im Dorf um, ob das einzige Restaurant des Ortes für ein kleines Mittagessen geeignet ist. Es ist schon sehr voll, aber ich bekomme noch einen Platz auf der Terrasse. Ich bestelle eine “Plat du jour”, ein Fleischgericht mit Gemüse und Pommes frites. Alles schmeckt wirklich gut, bis auf die Mischung aus grünen Bohnen, Brokkoli und kleingeschnittener Paprika. Leider ziemlich zermantscht. Das lasse ich einfach auf dem Teller übrig. Und werde gleich darauf von der Chefin energisch belehrt, dass Gemüse doch gesünder sei als Pommes! Und sie unterstreicht ihre Zurechtweisung mit einem kräftigen Ellenbogenstoß in meine Rippen. Autsch … Aber sie meint es bestimmt nur gut … Ein paar Tage später bin ich wieder hier. Und ich esse den Teller leer. Und sie kann sich ein verschmitztes Grinsen nicht verkneifen!
Wer sich für den Zirkus interessiert, kann in Vatan ein nettes kleines Museum zu diesem Thema besuchen. Das Museum für Zirkuskunst und -tradition zeigt anhand von Plakaten, Modellen und Kostümen die Geschichte des Zirkus im Laufe der Zeit. Sogar der typische Zirkusgeruch liegt in der Luft…
In Vatan befindet sich seit 1932 die Esso-Tankstelle der Familie Thibault: Jeanne verwaltet die Zapfsäulen, während Jacques, der seit 1952 die Citroën-Werkstatt leitet, das Familienunternehmen weiterführt, das 1902 seinen Anfang nahm.
Vor Châteauroux liegt die Raststätte L`Escale. Sie liegt nicht einmal direkt an der Autobahn A20, sondern etwas versteckt an der ehemaligen N20. Und doch ist sie die größte Raststätte Frankreichs! Sie ist eine Institution. An 7 Tagen in der Woche und mindestens 21 Stunden am Tag geöffnet, empfängt sie Fernfahrer aus ganz Frankreich. Und das Essen ist hervorragend. Die Spezialität: Meeresfrüchte und Fisch in allen Variationen. Das ist schon etwas Besonderes für eine Fernfahrerraststätte. Und das alles zu sehr moderaten Preisen. Und die Speisekarte ist seit 25 Jahren die gleiche!
Gleich nebenan befand sich der ehemalige NATO-Flugplatz der Amerikaner (1951-1967). Mehr als 10.000 amerikanische Soldaten ließen sich damals mit ihren Familien in Châteauroux nieder.
Plötzlich war der “American Way of Life“ in der französischen Provinz angekommen! Cadillacs, Jazz-Cafés, Jeans, Kaugummi, Hamburger usw. prägten den Alltag der Menschen. In einem kleinen, aber feinen Museum in Châteauroux kann man sich auf die Spuren dieser besonderen Zeit begeben.
Am Ufer der Indre liegt Châteauroux, eine typische französische Provinzhauptstadt. Der historische Stadtkern von Châteauroux bewahrt zahlreiche Zeugnisse aus dem Mittelalter: alte Gassen, schöne Häuserfassaden, Fachwerkhäuser. Das bemerkenswerteste Bauwerk von Châteauroux ist die Kirche Saint-André. Aber das Städtchen ist auch ein wenig verschlafen.
Ich erreiche die ersten Ausläufer des Zentralmassivs. Nach einer etwas trostlosen Landschaft beginnt sich die Gegend allmählich zu verändern. Zwischen den Tälern schlängelt sich die Asphaltstraße der ehemaligen N20 durch Wälder und Felder, auf denen hübsche hellbraune Limousin-Kühe grasen.
Von Châteauroux sind es nur wenige Kilometer nach Argenton-sur-Creuse, das auch “Klein-Venedig” des Berry genannt wird. Ich finde das Städtchen mit seinen malerischen alten Häusern und den schönen Galerien, die sich in der Creuse spiegeln, sehr hübsch.
Hinter Argenton-sur-Creuse verschwindet die historische Nationalstraße nach wenigen Kilometern unter dem Asphalt der Autobahn. Und ich nähere mich der zweiten großen Stadt dieser Reise: Limoges, die Hauptstadt des Porzellans. Hauptattraktion der Stadt ist die gotische Kathedrale Saint-Étienne und eine bezaubernde Altstadt. Ein idealer Ort zum Bummeln und Innehalten.
Ein weiteres touristisches Highlight von Limoges ist das malerische Viertel “La Boucherie”. Früher befanden sich hier zahlreiche Metzgereien, die dem Viertel seinen Namen gaben.
Die N20, jetzt D920, schlängelt sich durch eine ländliche Landschaft mit Feldern und Wäldern und ich erreiche Uzerche, eine kleine mittelalterliche Stadt, die auf einem Felsvorsprung über dem Fluss Vézère erbaut wurde. Es ist schön, die Treppen und Gänge zu erkunden und die alten Stein- und Fachwerkhäuser zu bewundern, die alle mit duftenden Blumen geschmückt sind. Die Zeit ist hier stehen geblieben und ich lasse mich ziellos durch die Gassen treiben, um diese hübsche Stadt voller Charme zu entdecken.
Brive-la-Gaillarde ist dagegen eher schlicht. Mitten in der Altstadt entdecke ich die Stiftskirche Saint-Martin, für mich architektonisch und kunsthistorisch nicht besonders aufregend. Das Städtchen ist ganz nett, einige Restaurants laden zum Verweilen ein.
Die D920 schlängelt sich hinter Brive nach Süden. Gleich nach Brive-La-Gaillarde in Richtung Souillac ist es nur noch eine schmale Straße. Mehrere Kilometer mit Tempo 30 – schneller geht es bei den steilen Serpentinen hinauf und den rasanten Abfahrten hinunter nicht. Ich kann mir gut vorstellen, wie die Fahrzeuge in den 60er und 70er Jahren hier an ihre Grenzen stießen. Mit kochendem Kühlwasser den Berg hinauf und mit heißen Bremsen wieder hinunter. Die vielen Werkstätten entlang der Strecke hatten sicher alle Hände voll zu tun.
Im Sommer stehen alle europäischen Urlauber in Souillac in einem Stau, der an die historischen Staus auf der N20 erinnert. Eine plausible Erklärung: Die parallel verlaufende Autobahn A20 ist mautpflichtig geworden.
In Souillac steuere ich den örtlichen Campingplatz an. Hier gibt es Strom und ich kann meine Klimaanlage einschalten. Es ist unerträglich heiß: 36 Grad im Schatten, im Wohnmobil 42! und mit Kühlung sind es noch sehr erträgliche 25 Grad.
Ich telefoniere mit dem örtlichen Reifenhändler, denn das Wohnmobil braucht dringend neue Reifen auf der Vorderachse. Da ich ganzjährig Winterreifen fahre (damit komme ich auch mal aus einer nassen Wiese), müssen die Teile bestellt werden. Und Monsieur wundert sich, dass er mitten im Sommer Winterreifen bestellen soll. Aber übermorgen sind sie da.
Heute war so ein richtig gebrauchter Tag. Ich fahre zum Reifenhändler, um die Reifen zu wechseln. Aber … die Reifen sind nicht da. Angeblich sind sie noch auf dem LKW, aber keiner weiß genau, wo der ist und wann er kommt. Vorsichtshalber telefoniert der Chef noch mit dem Großhändler und der sagt, dass die Reifen schon gestern geliefert wurden. Und tatsächlich stehen sie im Lager, bereit zur Montage. Ordnung ist das halbe Leben! Ich setze mich nebenan ins Café und warte, bis alles fertig ist. Nach einer Stunde ist alles perfekt erledigt.
Ich möchte zurück nach Brive-la-Gaillarde (es sind nur wenige Kilometer). Meine Free-Telefonkarte ist abgelaufen und ich muss dringend den Gastank auffüllen. Beides kann ich in Brive machen. Die Free-SIM-Karte gibt es in einem Automaten in einem “Tabac-Laden” (der Automat hier im Ort ist kaputt!). Es dauert eine Weile, bis ich in Brive einen Parkplatz finde, da die halbe Innenstadt mit Parkverbotsschildern versehen ist. Auf dem großen Parkplatz in der Innenstadt stehen hunderte von Kühen und Ochsen (vierbeinig). Als ich dann nach einem langen Fußmarsch an dem besagten Tabac-Laden ankomme, werde ich mit einem kleinen Schild begrüßt: “Wir freuen uns, Sie am 1. September wieder begrüßen zu dürfen”. Na toll. Wenigstens gibt es gleich nebenan ein kleines, aber feines Restaurant!
Etwas außerhalb von Brive soll es in einem Einkaufszentrum noch einen Free-Automaten geben. Also los, das Geschäft ist schnell gefunden, der Automat funktioniert und ich kann die neue Telefonkarte kaufen. Als ich sie in mein Smartphone stecke, wird sie nicht erkannt. Offensichtlich ist das Ding kaputt. Jetzt muss ich herausfinden, wo auf meiner Strecke ein Free Shop ist, damit ich das Ding reklamieren kann.
Gleich nebenan, an der Tankstelle des Supermarktes, gibt es auch Autogas. Aber nur, wenn man morgens kommt, denn die Kasse ist nur bis 13 Uhr besetzt. Oh Mann! Ein paar Kilometer weiter gibt es an einer Total-Tankstelle Autogas. Ja, wenn nicht gerade der Zapfhahn defekt ist und der Monteur irgendwann zur Reparatur kommt. Also fahre ich notgedrungen auf die (mautpflichtige) Autobahn, denn an der dortigen Tankstelle kann ich endlich meinen Gastank füllen.
Ich fahre noch einmal zum Reifenhändler, um die Radmuttern nachziehen zu lassen. Und das ist das einzige, was heute problemlos funktioniert.
Hinter Souillac schlängelt sich die RN20 (als D820) am Rande der Causse de Gramat entlang bis nach Cahors. Sie ist sehr gut erhalten und viel befahren, da die angrenzende A20 gebührenpflichtig ist. Und sie ist über weite Strecken wechselseitig zweispurig. Früher waren die drei Spuren nicht voneinander getrennt. Die mittlere Spur konnte von beiden Fahrtrichtungen zum Überholen benutzt werden. Schwerste Unfälle waren vorprogrammiert. Eingeschert beim Überholvorgang ist immer derjenige mit den schwächsten Nerven.
Die Besonderheit von Cahors ist seine Lage auf einer Halbinsel in einer Flussschleife des Lot. Das bekannteste Bauwerk der Stadt ist die Brücke über den Fluss (erbaut im 14. Jahrhundert, heute UNESCO-Weltkulturerbe). Einzigartig sind ihre drei Brückentürme. Sie sollen nirgendwo sonst zu finden sein.
Das zweite bedeutende Bauwerk von Cahors ist die majestätische Kathedrale Saint-Etienne mit zwei Kuppeln und einem schönen romanischen Portal mit einem prächtigen Tympanon.
Die alte N20 ist für den Reisenden zwischen Cahors und Montauban manchmal trist und langweilig. Über viele, viele Kilometer zieht sich das Asphaltband schnurgerade nach Süden. Nicht die kleinste Kurve sorgt für Abwechslung. Nur eine Handvoll Alleenabschnitte können meine Stimmung etwas aufhellen.
Der französische Staatspräsident Georges Pompidou hat 1970 persönlich folgende Anweisung gegeben: “Frankreich ist nicht nur dazu geschaffen worden, den Franzosen das Autofahren zu ermöglichen, und bei aller Bedeutung der Verkehrssicherheit darf dies nicht dazu führen, dass die Landschaft verunstaltet wird. Der Schutz der Bäume entlang der Straßen, und ich denke dabei besonders an die herrlichen, von Platanen gesäumten Straßen des Südens, ist für die Schönheit unseres Landes, für den Schutz der Natur, für den Schutz einer menschlichen Umwelt unerlässlich”.
Und es sind die von Platanen gesäumten Alleen, die Südfrankreich so schön und einzigartig machen!
Die weite Ebene der Garonne und ihrer Nebenflüsse beginnt. Von hier sind es nur wenige Kilometer bis Montauban.
In Montauban gibt es einen Laden des Telefonanbieters Free. Dort will ich die nicht funktionierende SIM-Karte reklamieren. Die junge Frau kann nicht glauben, dass die Karte nicht funktionieren soll. Also steckt sie sie erst einmal in mein Smartphone. Wenn ich eines nicht leiden kann, dann sind es fettige Fingerabdrücke auf dem Display. Die Dame hat sich wohl gerade die Hände eingecremt. Bäh! Die SIM funktioniert nicht, wie von mir reklamiert. Also wird sie in einem anderen Handy im Laden ausprobiert. Funktioniert nicht. Dann noch einmal in einem anderen Smartphone. Funktioniert auch nicht. Und die junge Dame kommt zu der glasklaren Analyse: Die Karte ist defekt! Der Austausch klappt erst, nachdem ich sehr energisch geworden bin. Trotzdem muss ich den Materialwert der SIM-Karte bezahlen. Ein unterirdisches Serviceverhalten! Ach ja, die neue SIM-Karte funktioniert!
Montauban ist eine wunderschöne Stadt! Das Zentrum bildet der Place Nationale. Er ist umgeben von einer doppelten Arkadenreihe und Häusern mit eleganten Backsteinfassaden. Rund um den Platz laden kleine Fußgängerstraßen mit Geschäften zum Bummeln und Einkaufen ein.
Mitten auf dem Place Nationale ist ein großer Springbrunnen, fast schon ein Wasserkunstwerk. Wer möchte, und das sind vor allem die Kinder, kann sich hier ungestört austoben. Nur die Schuhe musss man sich vorher ausziehen. Und am Ende sind alle pitschnass!
Südlich von Montauban ist ein großer Teil der historischen Route unter der Autobahn A20 begraben. Ich bin noch viele Kilometer von Toulouse entfernt, aber der höllische Verkehr rund um die Hauptstadt Okzitaniens macht sich schon bemerkbar! Ich will nicht direkt ins Zentrum von Toulouse, sondern zum Luftfahrtmuseum AEROSCOPIA, ein paar Kilometer außerhalb der Stadt. Hierher zieht es mich vor allem, weil es einen kleinen Parkplatz für Wohnmobile gibt und weil ich von hier aus mit der Straßenbahn in die Innenstadt fahren kann.
Das Museum liegt in der Nähe des internationalen Flughafens von Toulouse. Und der ist geschichtsträchtig. Im Jahr 1919 starteten von hier aus die ersten Luftpostrouten nach Marokko und die Aéropostale nach Südamerika. Heute ist er bekannt für die Airbus-Werke und eben für das Luftfahrtmuseum.
Ich mache nur ein paar Fotos “über den Zaun” denn ich habe Toulouse im Visier. Die „rosa Stadt“, denn hinter ihren schönen Backsteinmauern gibt es so viel zu sehen und zu entdecken. Also marschiere ich vom Museumsparkplatz zur Straßenbahnhaltestelle (gut 10 Minuten) und will mir ein Ticket kaufen. Das Display des Automaten ist so ungünstig angebracht, dass ich beim besten Willen nichts erkennen kann, weil es zu stark spiegelt. Ich bitte eine tief verschleierte Frau (gut einen Meter kleiner als ich), mir zu helfen. Aus einem anderen Blickwinkel könnte das mit dem Display ja passen. Natürlich hilft sie mir, aber dann kommt auch schon die Straßenbahn, sie will mit ihrem kleinen Sohn schnell einsteigen und bedeutet mir, ich solle doch auch mitkommen. Ohne Ticket. Die hätten auch keines!!! In der Innenstadt kaufen wir dann gemeinsam meine Tageskarte (die “Schwarzfahrt” wird also im Nachhinein bezahlt). Und dann verschwindet sie in der Metrostation, hilft einem Rollstuhlfahrer und kommt so ohne Kontrolle und ohne Ticket auf den Bahnsteig. Clever.Ich finde es nur bedenklich, dass ihr kleiner Sohn von Kindheit an “bescheißen” lernt!
Toulouse ist groß, laut, hektisch und wunderschön! Hier lässt es sich gut leben. Die Straßen sind voller Leben und in der historischen Altstadt laden zahlreiche Cafés und Boutiquen zum Bummeln, Schauen und Verweilen ein.
Ich komme mit der Straßenbahn direkt ins Zentrum (Place de Justice) und kann von dort aus zu Fuß zu den Sehenswürdigkeiten gehen. Aber die Wege sind weit. Auf dem Rückweg nehme ich die Metro und fahre mit der Tram zurück zur Aerospace und zum Wohnmobil.
Die ganze Nacht bin ich allein auf dem riesigen Parkplatz des Museums. Und tatsächlich sehe ich eines der wenigen legendären Transportflugzeuge von Airbus: die Beluga. Ich bin so überwältigt, dass ich sogar das Fotografieren vergesse!
Auf beiden Seiten der N20, kurz vor Pamiers, liegt das ehemalige Internierungslager “Camp du Vernet”, das Lager der Unerwünschten. Zwischen Februar 1939 und Juni 1944 passierten etwa 30.000 Menschen aus allen fünf Kontinenten die Bahnsteige von Vernet d’Ariège. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs wurden ab Oktober 1939 alle Ausländer und Franzosen, die als Feinde galten, nach Le Vernet gebracht und dort unter schrecklichen Bedingungen interniert.
Vom Lager selbst ist nicht mehr viel zu sehen. Aber das Museum vermittelt einen guten, wenn auch schrecklichen Eindruck von den Ausmaßen und den damaligen Zuständen.
Und dann tauchen sie aus dem Dunst am Horizont auf: die Pyrenäen. Ich habe ihre ersten Ausläufer erreicht. Noch in weiter Ferne, aber das Ziel meiner Reise rückt näher. Meine Stimmung steigt, aber das baldige Ende meiner Reise macht mich auch ein wenig traurig.
Ich nähere mich Foix und sehe zum ersten Mal seit vielen, vielen Kilometern wieder das rote Schild der N20. Die ursprüngliche Straßenbezeichnung wird mich nun wieder bis zur Grenze nach Andorra begleiten.
Der Parkplatz des riesigen Krankenhauskomplexes der Region Foix bietet sich zum Übernachten an. Ein Platz so groß wie mehrere Fußballfelder. Und ich, nachts, allein, mittendrin. Dann kommt das angekündigte Gewitter. Sintflutartige Regenfälle, Sturmböen, die das Wohnmobil mehr als nur zum Schaukeln bringen, und im Sekundentakt Blitz und Donner in unmittelbarer Nähe. Oh Mann, habe ich Schiss! Und die Weltuntergangsstimmung hält die ganze Nacht bis zum Morgen an. Ich mache die ganze Nacht kein Auge zu. Und ob so ein Pappkarton von Wohnmobil als Faradayscher Käfig wirklich schützt, kann ich nur hoffen!
Das herausragende Bauwerk von Foix ist die Burg. Massiv und sehr wehrhaft thront die mittelalterliche Festung auf einem hohen Felsen über dem Städtchen. Ein erstes Bollwerk gegen das nahe Spanien. Der Aufstieg ist recht steil und beschwerlich, aber von oben habe ich einen schönen Blick auf die Stadt im Tal der Ariège. Die kleine Altstadt lässt sich dagegen gut zu Fuß erkunden.
Foix ist mir vor allem durch die Tour de France bekannt. Viele Male war die Stadt Start- oder Zielort der Tour auf ihrem Weg in die Pyrenäen. Ein Radsportfan hat ein ganzes Schaufenster mit alten Tourfotos dekoriert. Das seltsam schöne Gefühl der Tour de France überkommt mich…
Über Tarascon gelange ich nach Ax-les-Thermes. Die Stadt liegt 720 Meter über dem Meeresspiegel und ist ein anerkannter Kurort mit zahlreichen Thermalquellen: Es sind mehr als fünfzig! Die Quellen sind zwischen 18 und 77 Grad warm und werden seit langem zur Behandlung von Atemwegserkrankungen genutzt.
Die N20 verlässt Ax-les-Thermes und schlängelt sich in Richtung Andorra und Spanien. Dann teilt sich die N20 endgültig, um ihr Ziel zu erreichen: die andorranische und die spanische Grenze. Hier, vor den Toren Spaniens, bin ich 864 km von Notre-Dame de Paris und 171 km von Barcelona entfernt. Die Landschaft ist großartig und beeindruckend.
Auf der Passhöhe erreiche ich die Staatsgrenze zu Andorra bei L’Hospitalet-près-l’Andorre. Und die Shoppingmeile für alle, die legal und günstig einkaufen wollen. Zigaretten, Tabak, Parfüm, Uhren und viel Krimskrams. Die Parkplätze sind voll, die Franzosen kommen in Scharen. Und über die Passstraße (2401 Meter) aus Frankreich fahren unzählige Tanklaster mit Benzin oder Diesel nach Andorra. Denn dort kann man genau diesen französischen Sprit 40 Cent billiger tanken. Verrückt.
Andorra la Vella, die Hauptstadt, liegt auf knapp 1010 m Höhe im Südwesten des kleinen Landes Andorra. Von der Passhöhe geht es also zunächst 24 Kilometer bergab. Zu den bekanntesten historischen Gebäuden von Andorra la Vella gehören die Kirche Sant Esteve aus dem 12. Jahrhundert und der ehemalige Parlamentssitz Casa de la Vall. Beide stehen in den Straßenschluchten, in denen große Labels und Designer um die Gunst der Tagesausflügler und Urlauber buhlen. Andorra la Vella ist wegen seiner Steuervergünstigungen immer noch eine beliebte Einkaufsstadt. Ich finde die Hauptstadt von Andorra überhaupt nicht attraktiv. Schade!
864 Kilometer bin ich der Route Nationale gefolgt. Bin ich am Ziel angekommen? Der Weg war das Ziel, das Fernweh und die Sehnsucht! Ich bin glücklich über diese Reise. Mein Horizont hat sich erweitert, mein Blick hat sich geweitet und ich fühle mich bereichert. “C’était merveilleux”.