Route Nationale 6 – Von Paris nach Italien
Die Route Nationale 6 beginnt, wie es sich für Frankreich gehört, in Paris. Mitten in Paris. Bien sûr! Direkt vor der Kathedrale Notre Dame. Von hier aus werden alle französischen Straßen kartiert. Die N6 war ab den 1950er Jahren wie ihre große Schwester, die Nationalstraße 7, eine Ferienstraße nach Italien. Der Weg in den Süden. Lust und Mühsal zugleich. Lust, weil man durch eine wunderschöne Landschaft fuhr, Mühsal, weil man in sengender Hitze unterwegs war, in Autos ohne Klimaanlage, mit quengelnden Kindern auf dem Rücksitz. Und oft genug im Stau!

Das Ziel der Urlauber auf der N7 war damals, in der Zeit ohne Autobahnen, das östliche Mittelmeer um Cannes und Nizza, das Ziel der Reisenden auf der N6 das Piemont und Italien. Der Weg nach Süden hat seinen eigenen Reiz und verspricht eine Reise durch ausgedehnte Weinberge des Burgund, weite Flusstäler bis hinunter in die Alpen an die italienische Grenze.
Ich liebe es, den alten, historischen Nationalstraßen Frankreichs zu folgen. Ich bin auf der Suche nach den alten Michelin-Schildern, nach den verblassten Werbeplakaten an den Fassaden der Häuser und nach allem, was den Charme der Straßen von damals ausmacht. Und die Nostalgie. Und die französische Kultur entlang der Strecke. Langsam, im Rhythmus der Entdeckungen die ich mache, werde ich diese Reise zurücklegen.

Ich beginne meine Reise am “Point Zero” der französischen Nationalstraßen im immer wieder schönen und aufregenden Paris. Ich verlasse die Stadt über die Porte de Charenton und schon beim Durchqueren der Millionenstadt bekomme ich den ersten authentischen Eindruck von damals: Stau! Dann durch die Banlieue, die berüchtigten Pariser Vororte, durch das langweilige Umland mit unzähligen Hypermarchés und Fastfood-Ketten, vorbei an Melun und durch die Wälder von Fontainebleau. Die Spannung steigt, ich bin voller Vorfreude.



Bevor ich Fontainebleau erreiche, durchquere ich noch im Speckgürtel von Paris das Provinzstädtchen Montgeron. Von hier gibt es für Radsportfreunde Interessantes zu berichten. Vor der “Auberge du Réveil-Matin” wurde am 1. Juli 1903 die erste Tour de France für Radfahrer gestartet. Heute ist der Ort Pilgerstätte für viele Radsportfans.


Die N6 umfährt Fontainebleau in einem großen Bogen. Die ursprüngliche Straße führte in vielen Kurven und Bögen durch die Stadt, Staus waren an der Tagesordnung. Aber auf der Umgehungsstraße erreiche ich bequem meinen Übernachtungsplatz in einer alten Allee, die direkt zu einem der Eingangstore des Schlossgartens führt. Die Straße ist mit handballgroßen Pflastersteinen ausgelegt. Fahren ist hier fast unmöglich, das Wohnmobil ächzt und klappert an allen Ecken und Enden. Aber die Straße ist auch schon mehrere hundert Jahre alt!
Die Stadt selbst hat leider nicht viel zu bieten. Die Hauptattraktion ist das Schloss und der 22.000 Hektar große Wald von Fontainebleau. Es gibt ein paar nette Bistros und Restaurants, die Bedienungen sind unfreundlich, das Essen lässt zu wünschen übrig. Die Gastronomie lebt von Tagesbesuchern.
Aber das Schloss von Fontainebleau ist einen Besuch wert. Das ehemalige Jagdschloss wurde 1528 zu einem Palast im italienischen Stil umgebaut, in dem sich der Hof regelmäßig aufhielt. Als Residenz von 34 Königen und zwei Kaisern ist Fontainebleau das einzige Schloss, das fast acht Jahrhunderte lang von französischen Herrschern bewohnt wurde. Mit seinen 1500 Zimmern ist es eines der größten Schlösser Frankreichs und das am reichsten ausgestattete Europas. Das Schloss von Fontainebleau ist ein wahres Juwel.





Am südlichen Rand des Waldes von Fontainebleau liegt das malerische Mittelalterstädtchen Moret-sur-Loing. Ich spaziere durch die Gassen der historischen Altstadt, lasse mich bei einem Kaffee von den Menschen in den Gassen und auf den Plätzen unterhalten und besuche das kleine Museum auf den kleinen Inseln des Loing.
Hier kann man, wenn man wie ich zu den Naschkatzen gehört, die Herstellung und den Verkauf des wunderbaren Sucre d’Orge, einer der ältesten Süßigkeiten Frankreichs, miterleben. Sie werden seit 1638 von den Benediktinerinnen von Notre-Dame nach einem unveränderten “Geheimrezept” hergestellt.
Moret-sur-Loing ist so ein typisch französisches Städtchen, weswegen in Frankreich so liebe. Ein liebenswerter Ort mit hübschen Gassen und Plätzen, einer Platanenallee am Ortseingang, mittelalterlichen Fachwerkhäusern, charmanten kleinen Cafés, einem Flüsschen, das durch den Ort fließt und das von einer Brücke mit weit geschwungenen Bögen überspannt wird. Und das Städtchen taucht aus dem Nichts auf. Kein Reiseführer weist darauf hin, welches Kleinod sich hier im Nirgendwo verbirgt. Es ist eine Freude, hin und wieder solche Entdeckungen zu machen.
Die N6 führt damals wie heute mitten durch das enge Stadtzentrum (von der neue Umgehungsstraße bin ich bewusst abgebogen) und durch zwei der vier Stadttore. So konnte ich unfreiwillig ausprobieren, ob mein Wohnmobil durch die schmalen und niedrigen Tore passt. Und … es hat geklappt! Aber nur knapp … Seit den Anfängen der motorisierten Zivilisation bringen die beiden hübschen Tore die Autofahrer zur Verzweiflung.

Kurz hinter Moret-sur-Loing treffe ich an einem kleinen Kreisverkehr auf einen Obelisken. Auf der rechten Seite der Fahrbahn befindet sich der Obelisk der Königin. Diese Säule aus rotem Marmor wurde an dieser Stelle errichtet, um an das erste Treffen zwischen Ludwig XV. und der zukünftigen Königin von Frankreich, Marie Leczinska, Tochter des polnischen Königs, zu erinnern. Nur wenige Meter entfernt rauscht der Verkehr auf der neuen vierspurigen N6 an mir vorbei. Und niemand außer mir hat auch nur einen Blick für das Denkmal übrig.

Die Straße führt weiter nach Süden, viele Kilometer schnurgerade in das Burgund. Sens, die Stadt der ersten gotischen Kathedrale der Geschichte, wartet. Die Umgehungsstraße führt um die Stadt herum, die alte Straße schlängelt sich zwischen mittelalterlichen Häusern hindurch und führt in das Zentrum der Stadt.
Die Hauptsehenswürdigkeit von Sens ist die Kathedrale Saint-Etienne, die älteste gotische Kathedrale Frankreichs. Erbaut wurde sie zwischen 1130 und 1168. Umgeben von den Häusern des historischen Zentrums erhebt sie sich stolz und wehrhaft auf einem kleinen Platz. Im alten Stadtkern kann man durch das Labyrinth der Fachwerkhäuser schlendern und viele ungewöhnliche Winkel und Ecken entdecken.





Auf der Autobahn A6, die Paris mit Lyon verbindet, verlasse ich Sens. Auf der Route National wird ein großer Stau gemeldet. Heute haben die Schulferien begonnen. Und wie jedes Jahr am ersten Ferienwochenende machen sich die ersten Urlauber auf den Weg in den Süden. Und heute ist es soweit. Halb Frankreich ist auf den Beinen, in 2 Wochen folgt die andere Hälfte. Es dauert nicht lange, und auch auf der Autobahn kommt es zu einem Unfall und zu Stau. Die Berichte über die endlosen Autoschlangen auf den Nationalstraßen aus der Zeit vor den Autobahnen gelten auch heute noch. In den späten 60er Jahren, als ich als Austauschschüler in Frankreich war, war die Zeit der Ferien noch viel intensiver als heute. Es war zum Beispiel fast unmöglich, während der Ferien einen Handwerker zu bekommen. Es herrschte wochenlang Stillstand in Frankreich. Viele Geschäfte, vor allem in den Großstädten, waren bis zum Schulbeginn Anfang September geschlossen.
Ich fahre zurück auf die N6, der Verkehr ist dicht und chaotisch. Ganz so, wie ich es aus alten Erzählungen kenne. Alle sind unterwegs, alle wollen so schnell wie möglich ankommen. Über Villeneuve-sur-Yonne und das hübsche Städtchen Joigny erreiche ich Auxerre.

Auxerre ist das nördliche Tor zum Burgund. An den Ufern der Yonne und in der Altstadt stelle ich fest: Auxerre ist äußerst charmant und sehenswert. Und ganz oben auf dem Bergrücken stehen zwei mächtige Kirchen: die Kathedrale Saint-Étienne und die Abtei Saint-Germain.
Schnell finde ich einen Parkplatz am Flussufer gegenüber der Altstadt. Ganz in der Nähe führt eine kleine Fußgängerbrücke über die Yonne und bietet einen herrlichen Blick auf den Hafen und die prächtigen Kirchen. Und am Abend kann ich von hier aus wunderbare Fotos machen.


Ich schlendere zwischen hübschen Fachwerkhäusern zum Uhrturm, über charmante Plätze und durch reizvolle Gassen zur Kathedrale und zur Abtei. Ich folge dabei den kleinen Bronzesymbolen auf dem Boden, die mich durch die Stadt führen. Es ist viel los in der Stadt, viele Straßen sind gesperrt. Morgen wird das olympische Feuer auf dem Weg von Marseille nach Paris durch Auxerre getragen.


Im historischen Zentrum von Auxerre befindet sich ein Meisterwerk der gotischen Kunst: die Kathedrale Saint-Etienne. Und diese hat eine Besonderheit: Sie hat nur einen Turm! Die heutige gotische Kathedrale ist schon die fünfte Kirche an diesem Standort. Die ersten drei sind abgebrannt, die vierte wurde abgerissen, um Platz für den Neubau zu schaffen. Der herrliche Tympanon wurde, wie in fast allen Kirchen und Klöstern von Frankreich, wären der Französischen Revolution stark beschädigt.
Die Kathedrale besaß einst große Schätze. Diese wurden im Laufe der Geschichte dreimal geplündert: zuerst im Hundertjährigen Krieg, als Auxerre von den Engländern eingenommen wurde, dann 1567 von den Protestanten und schließlich 1790 während der Französischen Revolution. Der immer noch beachtliche verbliebene Rest ist heute noch zu besichtigen.



Der Uhrturm aus dem 15. Jahrhundert ist das Wahrzeichen von Auxerre. Die Bürgerschaft von Auxerre entschloss sich, aus eigenen Mitteln den Turm zu finanzieren. Er ist ein Statussymbol der Bürger der Stadt. In einer Kammer neben dem Turm befindet sich das mechanische Uhrwerk das seit 1483 ununterbrochen läuft. Die Besonderheit der Uhr: Ein Zeiger zeigt die Sonnenzeit, ein anderer die Mondphasen an.



Hinter Auxerre nimmt die historische Bedeutung der N6 zu. Es ist, als hätte sich jemand des alten Erbes der Straße angenommen. Zahlreiche Schilder weisen auf die ehemalige N6 hin, die historische Straße wirkt nicht mehr vernachlässigt. Aber auch die Zahl der geschlossenen Hotels nimmt zu. Von Paris kommend hat sich ab hier eine Übernachtung angeboten, da die Tagesetappen nicht sehr lang waren. Auch die Zahl der geschlossenen Tankstellen steigt. Die damaligen R4, Renault Dauphine oder Simca 1100 hatten bei einem Tankvolumen von etwas mehr als 30 Litern eine Reichweite von knapp 300 km mit einer Tankfüllung.

La Roche en Brenil liegt etwa in der Mitte zwischen Paris und Lyon, einem der wichtigsten Ziele des Fernverkehrs. Diese Lage machte den Ort zu einem beliebten Zwischenstopp für Auto- und Lastwagenfahrer. Ende der 1880er Jahre erreichte die Eisenbahn den Ort und es wurde eine Eisenbahnbrücke gebaut. Deren Höhe reichte jedoch für die schwer beladenen Lastwagen nicht aus. Und so war der Ort bei den Lastwagenfahrern gefürchtet, denn es kam immer wieder zu schweren Unfällen. Die Brücke gibt es auch heute noch, und ich komme mit dem Wohnmobil ohne Probleme unter der Brücke durch.
Mit der Eröffnung der Postwege im 15. Jahrhundert entwickelte sich das Dorf rasch zu einem wichtigen Knotenpunkt mit Gasthäusern, Pferdeställen und vielen damals wichtigen Handwerksberufen: Hufschmiede, Schreiner, Wagner.


In Molphey erreiche ich die wohl bekannteste Tankstelle der N6. Sie sieht aus wie eine Spielzeugtankstelle aus meiner Kindheit. “Chez Johnny” ist dem französischen Rock’n’Roll-Sänger Johnny Hallyday gewidmet und beherbergt eine Sammlung von Tausenden von Gegenständen, die mit diesem Künstler in Verbindung stehen. Pascal Tournier, ein Fan von Johnny Hallyday, hat es in 30 Jahren geschafft, in dieser Tankstelle an der Nationalstraße 6 ein Museum zu Ehren seines Idols aufzubauen. Leider endete diese schöne Geschichte im Jahr 2023, als die Tankstelle und das Museum für immer geschlossen wurden.



Endlose Getreidefelder, weite Heideflächen, wilde Flussläufe, unzählige Teiche und Mischwälder mit jahrhundertealten Eichen … ich bin im Morvan angekommen. Geologisch gehört der Morvan schon zum Zentralmassiv, auch wenn die Berge bei weitem nicht so hoch sind. Aber immerhin schon um die 900 Meter.
Die N6 fährt mit mir Achterbahn. Rauf und runter, rechts und links … steile Abfahrten und endlose Steigungen. Ich kann mir gut vorstellen, wie die Renault Dauphine, der Peugeot 403 oder der Citroën DS mit kochendem Kühler am Straßenrand liegen blieben, die Fahrer ratlos daneben standen oder die Autos mit glühenden Bremsen im Tal ankamen. Die Zahl der Autowerkstätten entlang der N6 nimmt zu …

Die bekannteste Sehenswürdigkeit von Saulieu ist nicht die schöne Kirche, ein Meisterwerk der romanischen Kunst, auch nicht die hübschen Fachwerkhäuser oder der Turm aus dem 14. Jahrhundert. Die Hauptattraktion von Saulieu ist das mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnete Restaurant von Bernard Loiseau. Für mich eine unwiderstehliche, aber unerreichbare Verlockung. Immerhin kostet das Mittagsmenü an einem ganz normalen Montag € 380,-. Dazu kommen Getränke und Trinkgeld. Überhaupt hat sich die eher unspektakuläre Provinzstadt der Gastronomie verschrieben. Als “Herausragender Ort des Geschmacks” veranstaltet die Stadt alljährlich die Gourmettage, bei denen sich Feinschmecker aus aller Welt ein Stelldichein geben.
Ich begnüge mich mit einem Glas Pastis in einem kleinen Café, schaue mir meine Umgebung an und fühle mich mal wieder “sauwohl” in Frankreich.

Der Hochsommer hat begonnen. Es ist heiß geworden, die Felder sind ein Teppich aus Farben, von noch sattgrünen Weizenhalmen bis zu gelben Sonnenblumen. Mohnblumen setzen leuchtend rote Akzente. Es duftet nach frisch gemähtem Gras und Heu. Die N6 führt durch kleine Dörfer, die Häuser sind weiß getüncht und mit bunten Fensterläden geschmückt, in den Blumenkästen blühen Geranien. Ich gleite durch die Pracht des Sommers in meinem geliebten Frankreich!

Die Raststätte “Bel-Air” in La Rochepot war ein bekannter Zwischenstopp auf dem Weg in den Urlaub. In den 70er Jahren erlebte die Raststätte mit dem Restaurant “Relairoute” ihre Blütezeit. In einer legendären Szene des Films “Le Cercle Rouge” mit Alain Delon in der Hauptrolle wurde die Raststätte unsterblich. Heute werden die Gebäude von Oldtimer-Liebhabern als Treffpunkt genutzt und nach und nach zu einem kleinen Museum über die Route Nationale 6 ausgebaut.
Es gibt noch eine weitere Geschichte um das “Bel-Air”. Man erzählt sich, dass Louis Chevrolet als junger Mann im Bel-Air verkehrte und den Namen der Raststätte dem berühmten Chevrolet „Bel Air“ gab, der bis 1975 von General Motors in den USA hergestellt wurde.

Das Herz von Chalon-sur-Saône ist die Altstadt mit der Place Saint-Vincent. Der Platz mit seinen schönen alten Fachwerkhäusern wird von der Silhouette der Kathedrale überragt. Kleine Bars und Restaurants laden nach einem Stadtbummel auf dem Platz vor der Kirche zum Verweilen ein. Bei einem Kaffee und einem Pastis lässt sich die Pracht in aller Ruhe bewundern.


Wer sich für die Geschichte der Fotografie interessiert kennt den Namen Nicéphore Niépce (1765-1833), neben dem Franzosen Louis Daguerre und dem Engländer William Henry Fox Talbot einer der Erfinder der Fotografie. Mit Hilfe einer Lochkamera und einer sehr langen Belichtungszeit (von über acht Stunden) gelang es ihm, ein haltbares Bild auf eine beschichtete Metallplatte zu bannen. Es war der Blick aus einem Fenster seines Landsitzes Saint-Loup de Varennes. Dieses Bild “Le Point de vue du Gras” von 1826 oder 1827 gilt als das erste Foto in der Geschichte der Fotografie.

Ich verlasse Chalon-sur-Saône über die Route de Lyon. Die Straße soll zeitweise in so schlechtem Zustand gewesen sein, dass sich ein reger Schiffsverkehr nach Lyon entwickelte. Mit dem Schiff soll man schneller in Lyon gewesen sein als auf der grauenhaften N6.
In Saint Loup de Varennes (nur wenige Kilometer südlich von Chalon-sur-Saône) kann man im “Maison Niépce” ein kleines Museum besichtigen. Hier befindet sich auch die Dunkelkammer von Niépce und der Blick auf die ersten Motive in der Geschichte der Fotografie.

Vorbei an Tournus führt die N6 durch die sattgrünen Weinberge des Burgunds nach Mâcon. Das Wetter ist warm und sonnig, die Luft duftet nach Sommer. Die Straßen sind gesäumt von Sonnenblumenfeldern und Weinbergen, die sich bis zum Horizont erstrecken.


In Mâcon erreiche ich die Saône. Ich schlendere durch die sehenswerte Stadt zum „Maison de Bois“ mit seinen interessanten Skulpturen, flaniere auf der eleganten Esplanade Lamartine entlang der Saône, besichtige die Kathedrale Saint-Vincent und genieße den Blick von der historischen Pont Saint-Laurent auf die Altstadt.
Mâcon ist eine blühende Stadt. Die Stadt wurde mehrfach mit der “Fleur d’Or”, der goldenen Blume ausgezeichnet, der höchsten Auszeichnung des Labels “Villes et Villages fleuris”.


Vorbei an Villefranche-sur-Saône, einer für mich nicht besonders sehenswerten Stadt, folge ich dem Fluss in das Tal der Saône und erreiche Lyon, die drittgrößte Stadt Frankreichs und zweitgrößtes Ballungszentrum Frankreichs. Und wie immer, wenn ich dort bin, bin ich begeistert! Lyon ist eine der schönsten Großstädte, die ich kenne!
Ich verbringe einige Tage in dieser schönen Stadt und spüre … die Alpen sind nicht mehr weit! Und die ersten 460 Kilometer der “Route Nationale 6” sind geschafft.



Ich verlasse Lyon auf der N6 und fahre von Kreisverkehr zu Kreisverkehr durch Bron, die französische Partnerstadt von Weingarten in Oberschwaben. Damals war Bron eine eigenständige Stadt, die gegenüber Lyon den Vorteil hatte, dass der internationale Flughafen auf ihrem Gemeindegebiet lag. Heute sind Bron und Lyon zusammengewachsen, es gibt keine Stadtgrenze mehr. Und das Haus, in dem meine französische Gastfamilie wohnte, liegt heute an der 8-spurigen Stadtautobahn. Schrecklich!
Bevor ich Chambéry erreiche, durchquert die N6 die Chartreuse, ein voralpines Gebirgsmassiv der französischen Nordalpen. Steile Anstiege und rasante Abfahrten kündigen die hohen Berge und Pässe an, die noch vor mir liegen.
Immer wenn ich hier in der Gegend bin, fällt mir eine schöne Geschichte aus meiner Zeit beim deutsch-französischen Schüleraustausch ein. Es war üblich, mit den Austauschschülern Ausflüge in die Umgebung von Bron zu machen. Eines der Ziele war die Kartause von Chartreuse. La Grande Chartreuse ist ein Kloster des Kartäuserordens. Im Kloster wurde damals ein bekannter Kräuterlikör hergestellt. Und Besuchergruppen durften ihn probieren. Auf einem Stück Würfelzucker gab es eine kleine Menge des Likörs. In einer langen Schlange standen wir an, um das Zuckerstückchen zu bekommen. Und sind dann heimlich ans Ende der Schlange gegangen, um den Likör mehrmals zu probieren. Und die Mönche wunderten sich, wie viel Zucker sie brauchten!
Mit Chambéry erreiche ich Savoyen. Die Stadt hat für mich bereits ein schweizerisches Flair. Der Stadtbummel durch die überdachten Passagen, entlang der hübschen Patrizierhäuser mit ihren Fassadenmalereien, den kleinen Innenhöfen … eine Stadt zum Verlieben. Auf dem Place Saint-Léger mache ich Pause, verweilte und lasse mich vom Trubel der Stadt unterhalten. Die Terrassen der Cafés und Restaurants laden dazu ein, bei einem Espresso das Treiben der Menschen zu beobachten. Menschen, die es eilig haben, zur Arbeit oder nach Hause zu kommen, Touristen, die an ihren Kameras oder Reiseführern zu erkennen sind, Straßenkünstler und Musiker, Geschäftsleute in Anzug oder Kostüm oder ein verliebtes Pärchen, das den Trubel um sich herum gar nicht wahrzunehmen scheint.


Ich verlasse Chambéry auf der N6 in Richtung Albertville, die Alpen mit bis zu 2700 Metern immer im Blick. Alle großen Alpenpässe liegen hier in der Nähe. Hinter St-Pierre-d’Albigny biegt die N6 scharf rechts nach Süden ab und führt an St-Jean-de-Maurienne vorbei.

Unterwegs kreuze ich immer wieder die Strecke der diesjährigen Tour de France, dem prestigeträchtigsten und anspruchsvollsten Radrennen der Welt. Die Tour ist ja in Turin gestartet, dem virtuellen Zielpunkt der N6. Und meine Faszination für dieses Radrennen ist unbestritten. Man muss es einfach einmal erlebt haben, die Werbekarawane, den Tross der Begleitfahrzeuge und die Fahrer an sich vorbeiziehen zu sehen. Das ist elektrisierend!

Die Strecke der Tour de France führt immer durch die schönsten Landschaften Frankreichs. Den Zuschauern bieten sich spektakuläre Bilder der französischen Alpen, der Pyrenäen, malerischer Dörfer und berühmter Städte. Diese visuellen Eindrücke machen das Rennen auch für Nicht-Radsportfans attraktiv. In Frankreich ist die Tour de France ein nationales Ereignis, das weit über den Sport hinausgeht. Sie bringt Gemeinden zusammen und ist Anlass für lokale Feste und Feierlichkeiten. 10 bis 12 Millionen Menschen versammeln sich entlang der Strecke, um die Fahrer anzufeuern, was dem Rennen eine einzigartige Atmosphäre verleiht. Im Laufe der Jahre hat die Tour de France viele Helden und Gauner hervorgebracht. Fahrer, die außergewöhnliche Leistungen vollbringen oder durch Skandale in die Schlagzeilen geraten, tragen zur Dramatik des Rennens bei. Diese Geschichten von Triumph und Tragödie fesseln die Zuschauer und sorgen für Gesprächsstoff.

Barrière de l’Esseillon war der Name einer Verteidigungslinie aus fünf Forts, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts errichtet wurden, um Savoyen zu verteidigen, das bis zu seiner Abtretung an Frankreich zum Königreich Sardinien gehörte. Das Fort Redoute Marie-Thérèse ist eines davon. Der Name bezieht sich auf Maria Theresia von Österreich.

Nach Avrieux gewinnt die N6 an Höhe, bis sie in Lanslebourg scharf nach rechts abbiegt (geradeaus ginge es zum Col de l’Iseran) und in steilen Rampen und Kurven, einem Meisterwerk der französischen Ingenieurskunst des 19. Jahrhunderts, zum “Lac du Mont Cenis” und zum Pass und Grenzübergang nach Italien führt. Am Ortsausgang von Lanslebourg befand sich bis in die 1950er Jahre der französische Zoll, gut 10 km von der Grenze entfernt. Darüber hinaus wurden zwischen Frankreich und Italien 23 Schutzhütten errichtet, um den vom Sturm eingeschlossenen Reisenden zu helfen. Die Gebäude stehen noch heute. Von einem der Gebäude, das ein Symbol des Passes ist, hat man einen herrlichen Blick auf das darunter liegende Tal und den Stausee.




Der Col du Mont Cenis hat eine Höhe von 2.085 m. Auf der italienischen Seite führt die N6 als SS25, die ehemalige Route Impériale, in schwindelerregenden Serpentinen hinunter nach Susa und weiter nach Turin. Aber das ist eine andere Geschichte.

