Rückblick 2024

4.6
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Das Fernweh nach dem langen Winter ist eine stille Sehnsucht, die in der Frühlingswärme immer stärker wird. Wenn die ersten Blumen blühen, Wiesen und Felder ein zartes Grün zeigen und die Luft wärmer wird, ist die neue Jahreszeit wie ein sanftes Versprechen. Es drängt mich, mich auf den Weg zu machen, um das Erwachen des Frühlings zu erleben.

Es ist wie eine Verheissung, dass alles möglich ist und jeder Reisetag voller Entdeckungen und neuer Eindrücke steckt.

Ich stelle mir vor, wie der Wind über fremde Landschaften streicht, wie mich neue Eindrücke beflügeln und wie sich der eigene Blick auf die Welt verändert. Eine ständige Sehnsucht nach Veränderung, eine stille Hoffnung, neue Orte und Gegenden zu erleben. Manchmal reicht schon der Gedanke an eine Reise, um mein Herz schneller schlagen zu lassen. Der Plan, ein Ziel zu erreichen, die Vorfreude auf unbekannte Abenteuer, die Aussicht, neue Menschen kennen zu lernen und Geschichten zu sammeln – all das sind Gründe für diese Sehnsucht.

Und doch kommt es manchmal ganz anders. Das Ende des Reisejahres wird dramatischer verlaufen als erwartet.

Noch vor Ostern starte ich meine Reise in das Burgund. Es ist Mitte März, als mich das Fernweh packt. Wer geschichtsträchtige Sehenswürdigkeiten und kulinarische Köstlichkeiten schätzt, ist im Burgund genau richtig. Weinberge, grüne Weiden und gelb leuchtende Rapsfelder prägen im Frühjahr das Landschaftsbild. Zahlreiche Kanäle und Flüsse durchziehen die märchenhafte Landschaft. Und warum reist man ins Burgund, wenn man weder ein Weinkenner noch ein Weintrinker ist? Wegen der Menschen, wegen der Stille der Landschaft … und wegen der Kunst!

Reiseroute Burgund

Ich beginne in Beaune, im Herzen der Weinregion Burgund. Hier kommen besonders Weinliebhaber auf ihre Kosten. Inmitten von Weingütern und uralten Weinkellern können sie sich wie einheimische Sommeliers fühlen, auch wenn viele Touristen wahrscheinlich keine Ahnung haben, was „grand cru“ eigentlich bedeutet, außer dass es wahnsinnig teuer ist. Weinliebhaber sollten sich einen Besuch im Weinmuseum nicht entgehen lassen und auch kulinarisch ist Beaune bestens aufgestellt. Wie fast immer in Weinbaugebieten ist das Essen von besonderer Qualität. Allerdings nicht ganz billig.

Beaune

Entlang der Côte d’Or, die sich zwischen Beaune und Dijon erstreckt, fahre ich in die Hauptstadt des Burgund. Die Kirchen von Dijon sind beeindruckend, mit dem Kopf im Nacken bewundere ich die prächtigen Fachwerkhäuser und die Fassaden der Altstadthäuser. Und mitten auf dem Marktplatz endet mein Stadtbummel. Ein feiner Duft von frischem Gebäck und Crêpes liegt in der Luft.

Dijon – Notre-Dame de Dijon

Aber mich zieht es weiter nach Flavigny-sur-Ozerain! Aus zwei Gründen: Das Städtchen ist bekannt für seine leckeren Anisbonbons. Und hier wurden die wichtigsten Szenen des wunderbaren Kinofilms “Chocolat” gedreht.

Flavigny-sur-Ozerain – Filmkulisse “Chocolat”

Als ich Flavigny-sur-Ozerain betrete, rieche ich es schon: Es duftet nach Anis. Und dieser feine Duft kommt aus der alten Abtei. Hier werden sie produziert, “Les Anis de Flavigny”. Köstliche Bonbons mit einem Kern aus Anis. Sie sind erbsengroß. Und steinhart. Das Rezept ist natürlich streng geheim. Und sie werden in wunderschönen Blechdosen verkauft.

Und dann ist da noch Vézelay. Ein kleines, charmantes Dorf, das wie ein gut gehütetes Geheimnis wirkt. Überall in den engen Gassen riecht es nach frischen Kräutern und alten Steinen, und der Blick auf die sanften Hügel und Weinberge ist fast kitschig schön. Die Kirche von Vézelay ist beeindruckend – und das ist eine Untertreibung. Der Höhepunkt meiner Reise durch das Burgund.

Vézelay 

Über Avallon, Auxerre und Chalon-sur-Saône erreiche ich das letzte Ziel meiner Burgundreise: das Kloster Brou. Es wurde von der verwitweten Prinzessin Margarete von Österreich als Grabstätte für sich und ihren verstorbenen Gemahl Philibert, Herzog von Savoyen, erbaut. Eine Liebeserklärung der Prinzessin an ihren verstorbenen Gatten. Die Abteikirche aus weißem Kalkstein ist überwältigend schön!

Monastère royal de Brou

Ich hatte mir den Frühling so schön vorgestellt: Blumen, die sich im zarten Sonnenlicht recken, Weinberge, die in sattem Grün blühen und ein kristallklarer Himmel, der die perfekte Kulisse für eine Reise ins Burgund bietet. Aber … das Wetter ist im Burgund genauso unberechenbar wie überall sonst. Tagelang musste ich im Dauerregen ausharren. Einige Zufahrten und Orte waren durch die Wassermassen unpassierbar geworden. In einigen Gebieten musste sogar der Notstand ausgerufen werden. Manchmal wäre ein Boot das einfachere Fortbewegungsmittel gewesen als das Wohnmobil.

bei Chalon-sur-Saône

Reisebericht Burgund

Ich habe eine neue Leidenschaft. Ich “sammle” Nationalstraßen. Französische Nationalstraßen. Ich folge ihnen und versuche, die manchmal längst verschwundenen Trassen, ihre Besonderheiten und ihre Veränderungen zu “erfahren” und zu erleben. Ich liebe die alten französischen Nationalstraßen. Die alten Michelin-Schilder, die verblassten Werbetafeln an den Häuserfassaden und alles andere, was den Charme der Straßen von damals ausmacht. Das königliche und später kaiserliche Verkehrsnetz Frankreichs, das Erbe der Städte, durch die diese Straßen führen. Jede von ihnen erzählt auf ihre Weise die Geschichte Frankreichs.

Ist es noch interessant, diese französischen Nationalstraßen zu befahren? Ja, unbedingt, bevor alles verschwindet! Ich mache mich auf den Weg und die Nostalgie begleitet mich! Eine Route wie geschaffen für die Poesie vergangener Zeiten.

Anfang Juni mache ich mich auf den Weg entlang der Route Nationale 9. Für mich ist die N9 eine der schönsten Straßen Frankreichs. 591 Kilometer kurvenreiche Asphaltstrecke liegen zwischen Moulins in Zentralfrankreich und Le Perthus an der spanischen Grenze. Eine Route mit tiefen Schluchten, engen Passstraßen und wunderschönen Landschaften.

Route Nationale 9

Ich folge, soweit das noch möglich ist, dem Straßenverlauf von 1963, dem Jahr, aus dem meine antiquarische Michelin-Straßenkarte stammt. Die Nationalstraße 9 ist immer noch die Hauptverkehrsader, die Zentralfrankreich mit dem westlichen Mittelmeer verbindet.

Von Moulins fahre ich über Saint-Pourçain-sur-Sioule, bestaune in Rouzat das beeindruckende Viadukt, erreiche bei Clermont-Ferrand die Auvergne, bewundere in Issoire die schöne Kirche, erreiche hinter Saint-Flour die einsamen Hochebenen des Aubrac, überquere das imposante Viadukt von Millau und erreiche schon weit im Süden einen der landschaftlichen Höhepunkte: den Pas de l’Escalette.

Moulins
Issoire -Saint-Austremoine
Auvergne – Puy de Dôme

Der Pass führt die N9 von der kargen Hochebene der Causse durch einen kurzen felsigen Einschnitt mit einer herrlichen Abfahrt in die Ebene. Die N9 ist durch die parallel verlaufende Autobahn ersetzt worden, nur der Passabschnitt vermittelt noch einen Eindruck vom ehemals abenteuerlichen Verlauf der Nationalstraße. Einer der letzten unverfälschten Streckenabschnitte.

Pas de l’Escalette
Pas de l’Escalette

Südlich von Montpellier erreicht die N9 das westliche Mittelmeer und über Béziers und Perpignan ihr Ziel: die Pyrenäen am Pass von Le Perthus.

Le Perthus

Reisebericht Route Nationale 9

Anfang Juli mache ich mich auf den Weg, eine weitere Route Nationale zu befahren. Die Route Nationale 6 beginnt, wie es sich für Frankreich gehört, in Paris. Mitten in Paris. Bien sûr! Direkt vor der Kathedrale Notre Dame. Von hier aus werden alle französischen Straßen kartiert. Die N6 war ab den 1950er Jahren wie ihre große Schwester, die Nationalstraße 7, eine Ferienstraße nach Italien. Der Weg in den Süden.

Route Nationale 6

Ich verlasse Paris über die Porte de Charenton, bewundere das Schloss in Fontainebleau, schlendere durch das hübsche Städtchen Moret-sur-Loing und bestaune die älteste gotische Kathedrale Frankreichs in Sens.

Paris – Panthéon
Fontainebleau – Château
Sens – Saint–Étienne

Auf der Autobahn A6 von Paris nach Lyon verlasse ich Sens. Auf der Nationalstraße wird ein langer Stau gemeldet. Die Schulferien haben begonnen. Und wie jedes Jahr am ersten Ferienwochenende machen sich die Urlauber auf den Weg in den Süden. Und heute ist es soweit. Halb Frankreich ist auf den Beinen, in zwei Wochen folgt die andere Hälfte. Es wird nicht lange dauern, bis es auch auf den Autobahnen zu Unfällen und Staus kommt. Die Berichte über die endlosen Autoschlangen auf den Nationalstraßen aus der Zeit vor den Autobahnen sind auch heute noch aktuell. Ende der 60er Jahre, als ich als Austauschschüler in Frankreich war, wurde die Ferienzeit noch viel intensiver genutzt als heute. Es war zum Beispiel fast unmöglich, in den Ferien einen Handwerker zu bekommen. Es herrschte wochenlang Stillstand in Frankreich. Viele Geschäfte, vor allem in den Großstädten, waren bis zum Schulbeginn Anfang September geschlossen.

Auxerre

Nach zermürbenden Staus und Umleitungen erreiche ich Auxerre und schließlich Molphey. Dort gibt es die seltsamste Tankstelle Frankreichs an der N6.

Es sieht aus wie eine Spielzeug-Tankstelle aus meiner Kindheit. “Chez Johnny” ist dem französischen Rock’n’Roll-Sänger Johnny Hallyday gewidmet und beherbergt eine Sammlung von Tausenden von Gegenständen, die mit dem Künstler in Verbindung stehen. Pascal Tournier, ein Fan von Johnny Hallyday, hat es in 30 Jahren geschafft, in dieser Tankstelle an der Nationalstraße 6 ein Museum zu Ehren seines Idols aufzubauen. Leider endete diese schöne Geschichte im Jahr 2023, als die Tankstelle und das Museum für immer geschlossen wurden.

Molphey – Chez Johnny

Fast ebenso berühmt ist die Tankstelle bei La Rochepot. Die Raststätte “Bel-Air” war ein bekannter Zwischenstopp auf dem Weg in den Urlaub. In den 70er Jahren erlebte die Raststätte mit dem Restaurant “Relairoute” ihre Blütezeit. In einer legendären Szene des Films “Le Cercle Rouge” mit Alain Delon in der Hauptrolle wurde die Raststätte unsterblich. Heute dienen die Gebäude als Treffpunkt für Oldtimer-Liebhaber und werden nach und nach zu einem kleinen Museum der Route Nationale 6 ausgebaut.

Es gibt noch eine weitere Geschichte um das “Bel-Air”. Man erzählt sich, dass Louis Chevrolet als junger Mann im Bel-Air verkehrte und den Namen der Raststätte dem berühmten Chevrolet „Bel Air“ gab, der bis 1975 von General Motors in den USA hergestellt wurde.

In Chalon-sur-Saône besuche ich das Museum von Nicéphore Niépce, dem Erfinder der Fotografie, bevor bei Mâcon schließlich das Burgund beginnt.

Im Tal der Saône erreiche ich Lyon, die drittgrößte Stadt Frankreichs und das zweitgrößte Ballungszentrum des Landes. Und wie immer, wenn ich dort bin, bin ich begeistert! Lyon ist eine der schönsten Großstädte, die ich kenne! Ich verbringe ein paar Tage in dieser schönen Stadt und spüre … die Alpen sind nicht mehr weit! Und die ersten 460 Kilometer der “Route Nationale 6” liegen hinter mir.

Lyon – Cathédrale Saint-Jean-Baptiste
Lyon

Bevor ich Chambéry erreiche, durchquert die N6 die Chartreuse, ein voralpines Gebirgsmassiv der französischen Nordalpen. Steile Anstiege und rasante Abfahrten künden von den hohen Bergen und Pässen, die noch vor mir liegen.

Chambéry

Ich verlasse Chambéry in Richtung Albertville, die bis zu 2700 Meter hohen Alpen immer im Blick. Alle großen Alpenpässe liegen hier in der Nähe. Nach Avrieux gewinnt die N6 rasch an Höhe, bis sie in Lanslebourg scharf nach rechts abbiegt (geradeaus ginge es zum Col de l’Iseran) und in steilen Rampen und Kurven, einem Meisterwerk französischer Ingenieurskunst des 19. Jahrhunderts, zum “Lac du Mont Cenis” und zum Pass und Grenzübergang nach Italien … und zum Ziel dieser Reise.

N6 bei Lanslebourg
Col du Mont Cenis

Reisebericht Route Nationale 6

Ich habe wieder einmal einen der Krimis mit Kommissar Bruno gelesen, der bekanntlich seine Fälle im Périgord löst. Diese Geschichten haben in mir die Sehnsucht nach einer Reise an die Dordogne geweckt. Sie ist einer dieser geheimnisvollen Flüsse Frankreichs, der in der Auvergne entspringt, durch das Dordogne-Tal in Zentralfrankreich fließt, sich bei Bordeaux mit der Gironde vereinigt und schließlich bei Royan in den Atlantik mündet.

Anfang September mache ich mich auf den Weg zur Quelle der Dordogne, ins Tal der Dordogne und ins Périgord, für mich die schönste Region Frankreichs. Wenn es irgendwo ein Paradies gibt, dann muss es so sein wie im Périgord!

Hinter dem Bergdorf Mont-Dore, noch tief in der Auvergne, beginne ich eine Wanderung mit schöner Aussicht auf den Puy de Sancy. Mächtig erheben sich die steilen Felsen der umliegenden Gipfel, als ich nach etwa 30 Minuten das Quellgebiet der Dordogne erreiche. Auf etwa 1600 m Höhe vereinigen sich hier zwei kleine Gebirgsbäche, die Dore und die Dogne, zur Dordogne.

Blick vom Puy de Sancy
Source de la Dordogne

Meine Wanderung zur Quelle der Dordogne verlief leider nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Meine Vorfreude und Ungeduld, endlich am Ursprung der Dordogne zu sein, führten dazu, dass ich zunächst den falschen Weg einschlug und viele unnötige Höhenmeter zurücklegte. Ich bin schon ziemlich erschöpft, als ich endlich an der Quelle ankomme.

An diesem Ort zu sein, wo ein so mächtiger und geschichtsträchtiger Fluss entspringt, beeindruckt mich. Ich empfinde es fast als mystisch. Ich mache Fotos für den Reisebericht und beginne mit dem Abstieg.

Und dann passiert das Unglück!

Ich muss eine Stufe auf einem Holzsteg übersehen haben, der in etwa einem Meter Höhe über die junge Dordogne führt. Ich krachte auf den Steg und stürzte in den Bach und auf die Felsen!

Eine Gruppe von Wanderern kommt mir schnell zu Hilfe, im ersten Moment scheint mir nichts Schlimmes passiert zu sein. Ich bin bei klarem Verstand. Nichts scheint gebrochen. Meine Brille, mein Handy, meine Kamera fischen die netten Franzosen aus dem Wasser. Und ich sitze nass wie ein begossener Pudel in der Dordogne. Mir ist zunehmend schwindelig und ich habe Schmerzen in der Brust. Hilfe naht in Form der herbeigerufenen “Gendarmerie Montagne”, die mich nach einem mehr als fragwürdigen “Gesundheitscheck” mit dem Jeep zum Wohnmobil bringt und einfach dort absetzt.

Wie einsam ich mich in diesem Moment gefühlt habe, kann ich nicht beschreiben!

Was tun? Ich telefoniere mit meiner Frau und wir beschließen, dass ich nach Hause fahre, sobald ich mich dazu in der Lage fühle. Und so mache ich mich, wahrscheinlich noch unter Schock, auf den 600 Kilometer langen Weg zurück nach Freiburg. Der Arzttermin am nächsten Tag verläuft zunächst beruhigend. Nichts gebrochen, Schürfwunden, starke Prellungen an Lunge und Rippen, eine dicke Beule am Kopf, alles nicht besonders gefährlich, aber es tut höllisch weh! Wegen anhaltender Kopfschmerzen wird an der UNI Freiburg noch ein Schädel-CT gemacht, aber auch hier: alles in Ordnung!

Immerhin haben Kamera und Smartphone die “Taufe” in der Dordogne unbeschadet überstanden.

Aber mir wird wieder einmal bewusst: Das Leben ist oft unvorhersehbar und kann durch einen einzigen Moment oder ein Ereignis eine ganz andere Richtung nehmen. Alles kann sich von heute auf morgen ändern und alle Pläne zunichte machen! Deshalb: Nutze den Tag, genieße den Augenblick!

Carpe diem

Meiner Frau, die meine touristischen “Alleingänge” akzeptiert, gilt wie immer ein großes Dankeschön!

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