Frankreich – mon amour

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Meine persönliche Beziehung zu Frankreich bzw. zu den Franzosen begann schon in meiner Schulzeit. Oberschwaben war nach dem Zweiten Weltkrieg französische Besatzungszone. Und gegenüber von meinem Elternhaus in Weingarten war ein Teil der örtlichen französischen Kaserne ausgelagert. Dort wurden die notwendigen handwerklichen Arbeiten verrichtet: Schuhmacherei, Wäscherei und Autowerkstatt. Das alles war für mich sehr interessant. Und als die Kontakte zu den Soldaten erst einmal geknüpft waren, durfte ich auf das Kasernengelände, die Schlupfwinkel kannte ich. Immer nur heimlich, denn es war für Zivilisten strengstens verboten die Kaserne zu betreten. Und wenn “le Commandant” unangemeldet zur Kontrolle kam, musste ich mich schnell auf dem Gelände verstecken. Was für ein Abenteuer! Und immer gab es für mich dicke, dunkle Blockschokolade oder frisches Baguette zum mit nach Hause nehmen. Möglicherweise wären die jungen Soldaten aber mehr am Kontakt mit meiner älteren Schwester interessiert gewesen!

Markttag in Brantôme en Périgord
Markttag in Brantôme en Périgord

Eine der ersten Städtepartnerschaften zwischen Deutschland und Frankreich überhaupt wurde zwischen Weingarten in Oberschwaben und Bron bei Lyon geschlossen. Ende der 60er Jahre durfte ich zum ersten Mal daran teilnehmen. Ein bisschen Französisch hatte ich schon in der Schule gelernt. Mein Austauschschüler war aber gar nicht daran interessiert Deutsch zu lernen, so dass ich in der Zeit, in der “die Franzosen” bei uns in Weingarten waren und ich danach in Frankreich, hauptsächlich Französisch sprechen musste. Das hat mich sprachlich enorm weitergebracht.

Meine Austauschfamilie wohnte in einer typischen französischen Sozialwohnung. 2 Erwachsene und 3 Kinder in einer 3-Zimmer-Wohnung in einem Plattenbau. Während meines Aufenthaltes musste ich das Kinderzimmer alleine bewohnen, die Familie lebte solange alle zusammen im Elternschlafzimmer. Der Familienvater hat sich für die 2 Wochen meines Aufenthaltes Urlaub genommen, um immer “für den Deutschen” da zu sein. Chapeau, Monsieur Soulier! Merci à tous!

Dreimal war ich bei der Familie zu Gast und danach noch einige Male mit dem “Deutsch-Französischen Jugendwerk” in Frankreich.

Carcassonne
Carcassonne

Die Bretonen sind anders als die Bewohner des Périgord, die Korsen anders als die Elsässer. Während die Bretonen eher als bodenständig und mürrisch gelten, sind die Menschen in der Provence und an der Côte d’Azur eher lebenslustig und mediterran. Und die Franzosen im Süden, im “Midi”, sollen eher die “Filous”, die Spitzbuben sein.

Es gibt dazu eine schöne Geschichte von einem Radrennfahrer und Tour de France Etappensieger, der immer wieder hörte, dass die Südfranzosen Gauner seien. Er wollte es genau wissen und heuerte bei einem südfranzösischen Radrennstall an. Und er stellte fest: Das Vorurteil stimmt!

Côte d’Azur
Côte d’Azur

Natürlich handelt es sich dabei um Vorurteile und oberflächliche Betrachtungen, aber ein Fünkchen Wahrheit steckt meist in den Vorurteilen (die meisten Wohnmobilaufbrüche sollen südlich von Lyon stattfinden).

Bordeaux
Bordeaux

Ich liebe die Anarchie der Franzosen. Das merkt man zum Beispiel beim Autofahren. Verkehrsregeln werden als Empfehlung betrachtet, an die man sich nicht unbedingt halten muss. Rote Ampeln sind ein Hindernis, Verkehrsschilder ein Eingriff in die persönliche Freiheit. Außer am Zebrastreifen. Hier hat der Fußgänger absoluten Vorrang. Alle halten an, damit er die Straße überqueren kann. Zur eigenen Sicherheit sollte man sich als Fußgänger aber lieber noch einmal vergewissern, ob sich auch alle daran halten!

Manch einer wird sich noch an die Szene in Paris erinnern, als der ARD-Frankreich-Korrespondent Ulrich Wickert ohne nach rechts und links zu schauen den „Place de la Concorde“ überquerte. Und unversehrt in der Mitte des Kreisverkehrs ankam. “Es sei wichtig gewesen, zügig und ohne Angst zu gehen, damit die Autofahrer einschätzen könnten, welchen Weg er nehme”, erklärte er später in seinem Beitrag. Die französischen Autofahrer sind zwar schnell unterwegs, nehmen aber in der Regel Rücksicht aufeinander, ohne auf die Einhaltung der Verkehrsregeln zu pochen.

Niemand (außer den Touristen) stört sich daran, wenn vor allem ältere Menschen in ländlichen Gebieten, manchmal noch mit einem alten Renault R4 oder einer Ente, mit 40 km/h zum nächsten Supermarkt zum Einkaufen fahren. Sie ziehen zwar eine Autoschlange hinter sich her, aber das wird toleriert, weil jeder weiß, dass es im Dorf keine Einkaufsmöglichkeit mehr gibt. Kein Hupen, keine wilden Überholmanöver – man ist gelassen!

Es wird übrigens vermutet, dass mindestens 600.000 französische Autofahrer ohne gültigen Führerschein unterwegs sein sollen. Und das ist nur eine vorsichtige Schätzung. Und 700.000 Autos sollen ohne Versicherung unterwegs sein.

Wer die Französische Revolution gemacht hat, muss im Grunde ein Anarchist sein. Und das ist auch heute noch so: Der Franzose mag seinen Staat nicht. Aber sein Land umso mehr. Er lehnt es ab, sich bevormunden zu lassen. Jeder kennt die Proteste und Streiks der französischen Bauern oder Fernfahrer und der “Gelbwesten”. Auch wenn die Städter wegen der Blockaden der Bauernverbände und Gewerkschaften im Stau stehen: Man zeigt Verständnis.

Sarlat
Sarlat

Vor einigen Jahren war ich mit dem Wohnmobil in Biarritz. An der Strandpromenade standen einige Wohnmobile, aber es gab ein Parkverbot. Als folgsamer Deutscher fuhr ich auf den Campingplatz, aber am nächsten Morgen standen die französischen Camper immer noch da wie am Abend zuvor. “Die haben doch hier übernachtet”. Ich fragte einen Franzosen, ob man trotz des Verbots hier stehen dürfe. Und er meinte nur schelmisch: “Ich stehe schon 4 Wochen hier!”

Paris - Clochard
Paris – Clochard

Für Wohnmobilisten ist Frankreich ein ideales Reiseland. Nirgendwo sonst gibt es so viele Camping- und Stellplätze wie in Frankreich. Man findet fast immer ein schönes Plätzchen für die Nacht. Sie sind zwar nicht immer perfekt, aber meistens brauchbar. Und oft sogar kostenlos.

Leider schließen die Gemeinden ihre Stellplätze wieder oder versehen sie mit Höhenbeschränkungen, weil sich die Wohnmobilisten nicht zu benehmen wissen. Oder weil es einfach zu viele werden. Und immer öfter wird die Nutzung für nicht autarke VANs (also ohne Toilette an Bord) verboten. Zu Recht! Und wem die Stellplätze nicht gefallen: Man kann auch hinter der Gemeindehalle, dem Sportplatz oder dem Friedhof übernachten. Aber bitte ohne Spuren zu hinterlassen! Und bitte nicht im Rudel!

Pyrenäen - Pic du Midi
Pyrenäen – Pic du Midi

Die herausragendsten Zeugnisse der Baugeschichte tragen den Titel UNESCO-Welterbe. Davon befinden sich 52 in Frankreich (und ebenso viele in Deutschland).

Schlösser an der Loire - Chambord
Schlösser an der Loire – Chambord

Dazu gehören der Mont-Saint-Michel, das Schloss von Versailles, der Aquädukt Pont du Gard, die Höhle von Lascaux, die Denkmäler von Arles oder die prächtigen Schlösser an der Loire. Und vieles mehr.

Normandie – Le Mont-Saint-Michel

Aber es sind nicht nur diese herausragenden Sehenswürdigkeiten, die Frankreich als Reiseland interessant machen. Für mich sind es vielmehr die vielen kleinen Städte und Dörfer, die Alleen und Flüsschen, die sehens- und liebenswert sind. Oder ein Sonnenaufgang über einer saftig grünen Wiese in der Auvergne mit hübschen Kühen oder ein blutroter Sonnenuntergang über dem Atlantik.

Normandie
Normandie
Bretagne
Bretagne
Bretagne - Pointe-du-Raz
Bretagne – Pointe-du-Raz

Selbst die französische Kochkunst gehört zum immateriellen Weltkulturerbe der UNESCO. Die Art und Weise des Kochens, das anschließende Essen, die Auswahl der Weine und das Zusammensein bei Tisch wurden als erhaltenswert eingestuft.

Noch wichtiger sind die „Geheimtipps“ für den besten Metzger, Bäcker oder Gemüsehändler der Stadt.

Oder die beste Pâtisserie. Hier gibt es köstliches Gebäck, Kuchen oder Pralinen zu schwindelerregenden Preisen. Wer eine kleine, mit viel Liebe von Hand gemachte “Tarte aux pommes” oder einen anderen Kuchen kauft, kann zusehen, wie sie sorgfältig, manchmal etwas umständlich, aber liebevoll in eine Schachtel verpackt wird. Und dann wird sie dem Kunden überreicht wie ein wertvoller Schatz – auch wenn die Tarte kurz nach dem Verlassen der Pâtisserie schon wieder verzehrt wird.

Mein Verhältnis zur französischen Küche ist zwiespältig. Man kann sehr gut essen gehen, wenn man bereit ist, einen entsprechenden, meist aber auch angemessenen Preis zu bezahlen. Und in so manchem kleinen Bistro im Dorf oder auf einer Fernfahrerraststätte kann man auch kulinarische Überraschungen erleben.

“Les Routiers” sind die Gaststätten der Fernfahrer. Meist nicht besonders schön, aber zweckmäßig. Wenn zur Mittagszeit Lastwagen und Handwerkerfahrzeuge vor einem Restaurant oder Bistro parken, manchmal mitten im Nirgendwo, gibt es oft ein schmackhaftes und preiswertes Mittagsmenü. Meist 3 Gänge, manchmal sind ein Viertel Wein und ein Espresso im Preis inbegriffen. Aber immer ein Baguette! Das Essen ist reichlich, es geht schnell, man kennt sich. Und manchmal ergeben sich interessante Gespräche, auch wenn die freundlichen Fernfahrer meist nicht so gesprächig sind.

Und so sitze ich manchmal mit sehr kräftigen Fernfahrern am Tisch, keiner der Riesen sagt etwas. Nur ein kurzes “Bonjour” und “Bon appétit”. Etwas schüchtern sitze ich dazwischen. Auf Tuchfühlung. Als ich gehe, wünsche ich allen noch “Bonne route”, die Köpfe gehen hoch, wer ist hier der Störenfried, der die Ruhe stört!

Auf der anderen Seite ist die Qualität der Backwaren, insbesondere des legendären französischen Baguettes, teilweise miserabel. Aus vorgefertigtem Einheitsteig gebacken, schmecken sie oft fade und sind zudem teigig und nicht knusprig. Selbst die vom Bäckermeister. Was für eine Schande!

Aber … wenn ich mir die Qualität unserer heimischen Brezeln oder Brötchen ansehe: besser ist es bei uns weiß Gott auch nicht.

Und dann der Kaffee. Hier sind die italienischen Baristas den französischen weit überlegen.

Paris - Vogelmarkt
Paris – Vogelmarkt

Wörtlich übersetzt bedeutet “savoir-vivre” “wissen, wie man lebt”. Der Franzose verwendet den Begriff lieber für “sich gut benehmen, gute Umgangsformen haben”.

Nizza
Nizza

“Laisser faire” hingegen bedeutet Toleranz, “es gut sein lassen”. Die Franzosen lassen jedem seine Freiheit. Sie wollen niemanden bevormunden. Sie wollen aber auch nicht bevormundet werden.

Und die Franzosen lieben die Tradition. Vor allem auf dem Land. Alles muss “comme il faut” (wie es sich gehört) gemacht werden. Das gilt für die Art, wie man Weihnachten feiert, welche Badehose man im Schwimmbad trägt, wie man einen Brief adressiert, wie man einen Gendarm anspricht oder wie man ein Huhn zubereitet. Die bestehende Ordnung der Dinge wurde festgelegt … von den Franzosen!

Brantôme en Périgord
Brantôme en Périgord

Die Franzosen lieben es zu picknicken. Sogar am Straßenrand einer viel befahrenen Route Nationale. Eine schneeweiße Tischdecke wird auf der Wiese ausgebreitet, Käse, Baguette und Wein werden aus dem Kofferraum geholt. Und dann sitzt die ganze Familie zusammen und isst.

Die Franzosen lieben es zu campen. In fast jedem größeren Ort gab es früher einen gemeindeeigenen Campingplatz – den “Camping Municipal”. Mehr als 2000 soll es heute noch geben. Meist sehr einfach, aber zweckmäßig und preiswert. Auf den kleinen Plätzen hatte ich schon oft nette Begegnungen mit den “einfachen” Franzosen.

Camargue
Camargue

In vielen Städtchen und Dörfchen durch die ich fahre, sehe ich auf dem Dorfplatz immer wieder, dass sich am Nachmittag die Boulespieler einfinden. Plätze, meist unter Platanen oder anderweitig sonnengeschützt, aus Sand oder feinem Kies, nicht immer schön, aber regelmäßig in Gebrauch. Stundenlang sind die Spieler damit beschäftigt, mal ernsthafter oder lockerer, ihrem Freizeitvergnügen nachzugehen. Jeder will dass seine Mannschaft gewinnt, aber zu ernsthaften Auseinandersetzungen oder sogar zu Streit kommt es dabei nicht, auch wenn schon mal ganz genau nachgemessen werden muss, welche der Eisenkugeln der kleinen Zielkugel am nächsten liegt.

Und wenn ich Glück habe, werde ich manchmal zum Mitspielen eingeladen, nachdem man geklärt hat, ob ich eher der Spieler bin, der die Kugel genau platzieren kann (placer), oder ob es mir eher leichter fällt, die gegnerische Kugel wegzuschießen (tirer). Denn das bestimmt die Reihenfolge, in der ich im Spiel drankomme.

Arles
Arles

In Frankreich erlebe ich viele glückliche Momente. Sie öffnen mich für die Schönheiten des Landes, die man überall findet, wenn man die Augen offen hält.

Das kann das einzigartige Licht über der Provence sein oder ein malerischer Sonnenuntergang an der Côte d’Azur. Oder ein kleines Dorf in der Auvergne mit einem kleinen Bach, der langsam unter einer mittelalterlichen Brücke hindurchfließt.

Menton
Menton

Oder wenn ich in einem Café sitze und meine Umgebung beobachte und der Duft von frisch gebackenem Brot und Kaffee in der Luft liegt.

Bretagne
Bretagne

Oder das Gefühl beim Anblick der Kathedrale von Chartres, die mir Ehrfurcht einflößt. Oder ein Spaziergang durch die Gassen von Aix-en-Provence, wo der Duft von frisch gebackenen Calissons in der Luft liegt – an jeder Ecke kann ich diese Glücksmomente erleben und Frankreich entdecken.

Loire
Loire

Und natürlich darf auch das Verweilen in einem französischen Café nicht fehlen. Die Einrichtung ist meist einfach und praktisch, mit kleinen Tischen im Freien, von denen aus man das Treiben auf der Straße beobachten kann. Hier lässt man sich Zeit. Übrigens: In französischen Cafés ist es erlaubt, z.B. mitgebrachte Croissants zu verspeisen.

Gordes
Gordes
Lyon
Lyon

Von den Cafés aus kann ich die Einheimischen bei ihren alltäglichen Verrichtungen beobachten, Geschäftsleute, die zu ihren Läden eilen, Pärchen, die sich verliebt anschauen, Frauen, die sich unterhalten. Ich kann für einen Augenblick alles um mich herum vergessen.

Paris
Paris

Nach dem Tod des französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle fragte man sich, worüber er und Gott wohl reden würden. “Das hängt davon ab, wie gut Gott Französisch spricht”.

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